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«Wir hätten gerne 100 Anlagen bis 2025»

Reto Rigassi ist Verantwortlicher für die Deutschschweiz bei der Schweizerischen Vereinigung für Windenergie, Suisse Eole. Er ist zudem Mitglied der Geschäftsleitung der ENCO Energie- Consulting AG, welche die Geschäftsstelle Deutschschweiz von Suisse Eole im Mandat führt. Foto: Suisse Eole

SUISSE EOLE, DIE VEREINIGUNG ZUR FÖRDERUNG DER WINDENERGIE IN DER SCHWEIZ, WURDE 1998 GEGRÜNDET UND HAT DERZEIT RUND 300 MITGLIEDER. DER VERBAND SETZT SICH FÜR DEN AUSBAU DER WINDENERGIE IN DER SCHWEIZ EIN, WAS ZUWEILEN EIN STEINIGER WEG IST, WIE RETO RIGASSI, FRÜHER GESCHÄFTSFÜHRER UND HEUTE VERANTWORTLICHER DEUTSCHSCHWEIZ BEI SUISSE EOLE, IM INTERVIEW PER SKYPE ERKLÄRT. DENNOCH IST RIGASSI ZUVERSICHTLICH, DASS SICH DER AUSBAU DER WINDENERGIE BESCHLEUNIGEN WIRD.

Beat Kohler

Die Windenergie scheint in der Schweiz einen schweren Stand zu haben, wenn man die Bericht­erstattung in den Medien verfolgt. Täuscht dieser Eindruck, oder ist es tatsächlich schwierig für die Windkraft in der Schweiz?
Reto Rigassi: Wenn man sieht, wie wenige Anlagen bisher realisiert werden konnten, dann stimmt dieser Eindruck. Besonders wenn man die zahlreichen Projekte betrachtet, die schon seit Jahren vorangetrieben werden, ohne dass sie bisher gebaut werden konnten. Mit aktuell 42 realisierten Anlagen fallen wir auch im internationalen Vergleich deutlich ab. Auf der anderen Seite täuscht der Eindruck, und es könnten falsche Schlussfolgerungen gezogen werden. Die grosse Anzahl an Projekten, die noch in der Pipeline sind, wird gerne unterschätzt. Diese sind aus unserer Sicht erfolgsversprechend unterwegs. Der grösste Teil dieser Projekte ist leider mit grossen Verzögerungen konfrontiert, die in aller Regel von Einsprachen und Gerichtsverfahren herrühren.

Werden diese Projekte letztlich realisiert werden können?
Wir sind sehr optimistisch, dass in den nächsten Jahren eine grosse Zahl dieser Projekte tatsächlich gebaut wird.

Mit welchen Gründen wehren sich die Einsprechenden üblicher Weise gegen die Windkraftanlagen?
Viele sind generell dagegen, dass man Windenergie nutzt. Dies zum Teil, weil sie grundsätzlich gegen die neue Energiestrategie und die Energiewende sind. Diese Menschen sehen folglich den Sinn in der Windkraft nicht und suchen dann nach allen möglichen Gründen, weshalb sie ein solches Kraftwerk verhindern wollen. Am Schluss resultieren Dutzende verschiedene Einsprachegründe, die erhoben werden. Die Gegnerinnen und Gegner solcher Anlagen schauen, welcher dieser Gründe juristisch erfolgreich sein könnten und brin- gen diese in Einsprachen vor. Wenn man die jeweiligen Begründungen liest, sieht man dahinter sehr deutlich die grundsätzlichen Zweifel an der Energiestrategie. Windenergie liefere nur zufällig zu gewissen Zeiten Strom, auch wenn es ihn gar nicht brauche, und könne gar nichts zur Versorgung beitragen. Solche und ähnliche Argumente werden vorgebracht. Es sind Punkte, die auch bei der Photovoltaik oder anderen Energieträgern bemängelt werden könnten. Natürlich kommen immer wieder auch Vorbehalte gegen Lärmemissionen oder der Vogelschutz vor. Letzterer häufig, weil die Ein- sprechenden das Gefühl haben, hier juristisch die grössten Erfolgschancen zu haben.

Der Vogelschutz im Zusammenhang mit Windkraft ist auch in den Medien sehr präsent. Halten Sie diesen in dem Fall für ein vorgeschobenes, emotionales Argument?
Sehr häufig ist das so, das muss man klar sagen. Für Private und Unabhängige ist der Vogelschutz oft nicht der eigentliche Beweggrund für eine Einsprache, er wird aber dennoch vorgebracht. Die Energiewende und mit ihr die Windenergie sind aber die effektivste Massnahme gegen den Klimawandel, der die Biodiversität und damit auch die Vogelwelt am stärksten bedroht.

Wie wichtig ist das Thema Vogelschutz bei Windkraftanlagen tat­sächlich?
Man muss grundsätzlich dafür sorgen, dass Anlagen lokal nicht relevanten Schäden anrichten. Wir sind aber der Meinung, dass dieser Punkt bei vielen Windprojekten überbewertet wird. Die Unsicherheiten diesbezüglich sind sehr gross und die Erfahrungen klein. So- mit liegen die Befürchtungen oft auch fernab von dem, was realistischer Weise bezüglich der Gefährdung der Vogelwelt tatsächlich festgestellt wird.

Wie können Sie dazu beitragen, diese Unsicherheiten bezogen auf die Windkraft abzubauen und damit die Prozesse zu be­schleunigen?
Dazu braucht es mehr Erfahrungen mit realisierten Projekten und dafür müssten wir mehr Anlagen bauen dürfen. Bei neuen Anlagen ist vorgesehen, unter anderem den Vogelschlag zu untersuchen. Wir brauchen Untersuchungen wie diejenige im Windpark Peuchapatte, wo das nachträglich getan wurde. Dort konnte man sehr klar zeigen, dass bei einem typischen Windpark im Jura – der das grösste Windpotenzial in der Schweiz hat – die Opfer von Vogelschlag sehr selten sind. Es hat sich auch gezeigt, dass es sich bei den betroffenen Tieren nicht um seltene oder bedrohte Arten gehandelt hat. Für die Windenergie waren diese Ergebnisse sehr erfreulich.

Die Einsprachen verlängern die Verfahren. Wie sehen die Rahmenbedingungen für die Windenergie in der Schweiz insge­samt aus?
Die sind extrem anspruchsvoll. Auf der einen Seite ist dies dem Föderalismus geschuldet. Es braucht nicht nur die Energiestrategie des Bundes mit den finanziellen Rahmenbedingungen, sondern auch die Kantone, welche die Standorte für die Planung ausscheiden, und am Schluss auch noch die Gemeinden, welche die konkreten Projekte in ihrem Gebiet im Rahmen einer Zonenplanung ermöglichen müssen. Wenn die drei Staatsebenen nicht zusammenspielen und für denselben Standort nicht zum selben Ergebnis kommen, dann wird es fast unmöglich, ein Projekt zu realisieren. Wenn ein Kanton Gebiete ausscheidet, die Standortgemeinden aber dagegen sind, dann können diese Standorte nicht genutzt werden. Das gilt natürlich auch im umgekehrten Fall. Auch bei allen Detailfragen, wie den einzelnen Punkten der Bewilligungsverfahren, müssen sich die Staatsebenen einig sein. Alle Seiten müssen eine Interessenabwägung machen und zum selben Ergebnis kommen. Zum Schluss kommt erschwerend hinzu, dass wir im Moment zwar noch ein Einspeisevergütungssystem für die laufenden Projekte haben, das gut funktioniert, aber auslaufen wird. Bei der Windenergie ist noch nicht klar, wie es danach weitergehen wird.

Sehen Sie in den Gemeinden und Kantonen aber auch positive Entwicklungen wie zuletzt im Kanton Freiburg, der bei der Wind­energie vorwärts machen will?
Wir stellen fest, dass die Kantone das Potenzial der Windenergie bemerkt haben. Zuletzt war das Freiburg, und eine Vorreiterin war die Waadt. Dort könnte man 20 bis 30 Prozent des kantonalen Stromverbrauchs mit Windenergie decken, weil die Potenziale im Jura sehr beachtlich sind. Deshalb erhält die Windenergie dort auch ein entsprechendes Gewicht in der kantonalen Planung. Das ist in Freiburg jetzt ähnlich.

Sie haben auch von laufenden Gerichtsverfahren gesprochen. Wo steht man bei diesen Verfahren?
Wir hoffen bei einigen Projekten, bei denen die Einsprechenden durch alle Instanzen bis vor Bundesgericht gegangen sind, dass wir in absehbarer Zeit zwei bis drei Präzedenzfälle haben werden. Das wird den Prozess für künftige Rechtsverfahren hoffentlich beschleunigen. Bisher haben wir bis zu sieben Jahren auf einen gültigen Entscheid der letzten Instanz gewartet.

Bundesgerichtsurteile gab es schon früher. Was ist neu an den Urteilen, die Sie erwarten?
Das werden die ersten Fälle sein, bei denen ein nationales Interesse an der Stromproduktion gemäss der Energiestrategie 2050 ins Feld geführt und bei den Urteilen mitberücksichtigt wird. Das ist auch eine neuere Generation von Projekten. Die letzten Urteile liegen schon einige Jahre zurück und betrafen Projekte, die vor über 15 Jahren entwickelt worden waren. Damals war noch überhaupt nicht klar, welche Abklärungen getroffen werden müssen und was die Kantone verlangen. Es gab keine klaren Vorgaben. Das führte vor Gericht oft dazu, dass weitere Abklärungen gefordert wurden. Das ist bei den neuen Projekten nicht mehr so. Heute gibt es sehr viele Vorgaben – aus unserer Sicht teilweise unnötig viele. Der Vorteil ist aber, dass sie vor Gericht rascher bestehen sollten, weil alles Mögliche und Unmögliche abgeklärt und berücksichtigt wurde. Ich bin optimistisch, dass die neuen Urteile für die Windenergie positiv ausfallen werden. Wir hatten bisher am Bundesgericht keine Urteile, welche die Projekte grundsätzlich in Frage stellten. Es ging immer darum, weitere Abklärungen einzuholen oder diese besser zu dokumentieren. Anpassungen an den Projekten selbst – beispielsweise eine geringere Anzahl an Turbinen – wurden nie verlangt.

Wird es unter der Aussicht, dass die Einspeisevergütung ausläuft, überhaupt noch neue Projekte geben? Was sind in diesem Bereich Ihre Forderungen an die Politik?
Für die bestehenden Projekte, die bereits eine Einspeisevergütung zugesprochen erhalten haben, gibt es eine Verlängerung für den Zeitraum, in dem die Projekte bei den Gerichten liegen. Das muss unbedingt so bleiben, was auch der Fall ist. Das Nachfolgemodell zur Einspeisevergütung, dass es ermöglichen würde, neue Projekte zu lancieren, fehlt im Moment. Das werden wir aber bald brauchen, auch wenn wir mit den bestehenden Projekten in den nächsten Jahren noch Fortschritte machen können. Denn auch die neuen Projekte werden immer noch eine lange Vorbereitungszeit brauchen.

Wie müsste das nachfolgende Vergütungssystem für Wind­energie aussehen, damit neue Projekte entstehen könnten?

Unserer Ansicht nach müsste es wieder ein Einspeisevergütungssystem sein. Die Windenergie liefert zwei Drittel ihrer Energieproduktion im Winterhalbjahr, wenn die Photovoltaik und die Wasserkraft weniger liefern und der Verbrauch am höchsten ist. Wenn wir also möglichst wenig Speicherkapazität aufbauen wollen, brauchen wir viel mehr Windenergie in der Schweiz. Die Vergütung müsste diese Winterstromproduktion berücksichtigen. Mit einer Einmalvergütung ist das fast nicht möglich, sondern nur mit einem Einspeisevergütungssystem. Dieses könnte aber deutlich marktnäher ausgestaltet werden, als dies heute der Fall ist – beispielsweise in Form einer Prämie oder einer Versicherung, welche die Preise stützt, solange die Preissignale des Marktes nicht ausreichen. Wenn die Markt- preise steigen, was sie eigentlich sollten, wenn ein Bedarf nach Energie besteht, könnte die Prämie wieder zurückgefahren werden. Heute können die Projektträger mit den Erträgen aus der Einspeisevergütung mit wenig Risiko sehr genau kalkulieren. Das lässt sich sicher marktnäher ausgestalten.

Könnte ein zusätzlicher Bonus für Strom, der im Winter produziert wird, für die Windenergie interessant sein?
Genau. Es gibt ganz unterschiedliche Modelle, wie man das tun könnte. Ein Bonus für Winterstrom wäre ein solches.

Vergütungssysteme sind Sache der Politik. Wie bringt Ihr Verband die Windenergie weiter vorwärts?
Wir achten darauf, das neue Windenergieprojekte qualitativ hochwertig sind. Dafür pflegen wir einen sehr intensiven Erfahrungsaus- tausch unter den einzelnen Projekten und den Projektentwicklerinnen und -entwicklern. Das fördern wir – auch kantonal. Die bestehenden Erfahrungen der Windparks sollen zur Verfügung gestellt werden und in neue Projekte einfliessen. Zudem stellen wir in letzter Zeit fest, dass die Gegnerschaft von Windprojekten immer besser, vernetzter und professioneller organisiert ist. Somit werden die politischen Diskussionen auch in den Standortgemeinden immer intensiver. Windkraftgegnerinnen und -gegner versuchen die Leute vor Ort zu verunsichern, was einfacher ist, als ihnen das Vertrauen in eine Technologie zu vermitteln. Deshalb bereiten wir einiges vor, um in diesen Diskussionen noch besser informieren zu können. Wir wollen zeigen, worauf man sich bei einem Projekt einlässt und was nicht zu befürchten ist, obwohl es immer wieder – offensichtlich falsch – behauptet wird.

Sie sind also projektbezogen sehr lokal tätig?
Der politische Wille, der sich in der Energiestrategie 2050 äussert, über den wird bei der Windenergie letztlich lokal noch einmal entschieden. Bei neuen Projekten entscheidet am Schluss eine Gemeindeversammlung mit 30 bis 40 Leuten über ein Projekt, das Strom für 10000 und mehr Haushalte liefert. Das ist eine Herausforderung, weil die Kraftwerke zwar bei diesen Leuten stehen, die Vorteile aber der ganzen Schweiz zugutekommen. Dafür sichern diese Gemeindeversammlungen einen wichtigen Teil einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Energieversorgung der Schweiz. Dementsprechend haben sie auch eine Verantwortung. Bisher ist unsere Informationsvermittlung gut gelungen. Der grösste Teil der Abstimmungen in den Gemeinden ist für die Windenergie positiv ausgefallen.

Wenn wir einen Blick in die Zukunft wagen: Wie viele Wind­energieanlagen werden in den kommenden Jahren in der Schweiz gebaut?
Wir hätten gerne 100 Anlagen aus der ersten Welle bis 2025. Da braucht es Geduld, weil die Verfahren lange dauern. Für die Zukunft hoffen wir, dass die Windenergie etabliert ist und die Verfahren schneller ablaufen. Das langfristige Ziel bis 2050 ist es, mit der Windenergie sechs Terawattstunden Strom pro Jahr zu produzieren. Mit der Weiterentwicklung der Technologien könnten wir auch neun Terawattstunden erreichen. Das entspricht 15 Prozent des heutigen Stromverbrauchs. Und wir wer- den diese Elektrizität brauchen, um die fossilen Energien ersetzen zu können.
www.suisse-eole.ch