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«Auch die Weisen sehen nicht immer das Ende»

Soll der Traktor in Zukunft seine Energie aus der Hofgülle beziehen? Werden die Stauseen in den immer heisseren Sommern von Energie- zu Wasserlieferanten? Bei der WSL in Birmensdorf (ZH) werden zur besseren Orientierung zurzeit umfassende Analysen und Befragungen zu solchen Fragen durchgeführt.

Text: Andrea Holenstein

Tausende vor allem junger Menschen haben Anfang Jahr weltweit für das Klima gestreikt. Es gilt ernst – schon viel zu lange. Jetzt braucht es Taten. Das ist unbestritten. Dennoch sollten wir, so Astrid Björnsen Gurung, die Leiterin des Programms «Energy Change Impact» der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL in Birmensdorf, jetzt nicht einfach vorpreschen.

Das Ganze im Blick behalten

Die Rolle ihres Teams an der WSL bei der Umsetzung der Energiestrategie 2050 bezeichnet Björnsen mit einem Augenzwinkern als «Spielverderber». Denn die nicht leicht abschätzbaren Wechselwirkungen von menschlichen Bedürfnissen, Natur und Wirtschaft oder die Folgen neuer Technologien dürfe man nicht aus den Augen verlieren. Da brauche es einen unabhängigen Blick auf das Ganze. Gleichsam als Begründung für ihre Haltung zitiert sie aus Donna Tartts bekanntem Roman «Der Distelfink»: «Das Gute kommt nicht immer aus guten Taten und das Böse nicht immer aus bösen. Auch die Weisen und Guten sehen nicht immer das Ende aller Handlungen.» Mit der Energiewende sei dies ähnlich, erklärt sie: «Mit dem Umbau des Energiesystems und der Abkehr von den fossilen Energieträgern wollen wir zwar das Gute, aber auch neue Technologien und deren Nutzungen haben Auswirkungen auf die Umwelt und auf die Gesellschaft. Diese zu kennen – auch langfristig – kann entscheidend sein, damit wir heute die richtigen Entscheidungen treffen.» Deshalb setzen sich an der WSL verschiedene Forschungsteams damit auseinander, wie eine sozial-, natur- und wirtschaftsverträgliche Energiewende aussehen sollte.

Wasser: Energieproduktion oder Bewässerung?

Bei der WSL laufen deshalb zurzeit verschiedene Projekte, um im Bereich Energie vorausschauende Entscheide zu unterstützen. So beschäftigt sich eines der Projekte (www.wsl.ch/de/projekte) beispielsweise damit, Wasserkraftbetreibern mit langfristigen Abflussvorhersagen zusätzliche Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung zu stellen. Bisher bestimmte fast ausschliesslich die Preisentwicklung auf dem Energiemarkt den Entscheid, Wasser im Stausee zurückzuhalten oder für die Elektrizitätserzeugung zu nutzen. Mit dem Wissen darüber, wie viel Wasser in den kommenden Wochen dem Stausee zufliesst oder eben nicht, können die Entscheide auf eine breitere Basis gestellt werden. Zu diesem Zweck verknüpfte die WSL Wettermodelle mit hydrologischen Abflussmodellen. Ein weiteres Projekt (www.wsl.ch/de/projekte/hydro-ch2018-wasserspeicher.html) befasst sich mit der lokalen und regionalen Wasserknappheit, die zukünftig vermehrt auftreten dürfte und ebenfalls die Bewirtschaftung der Speicherseen beeinflussen könnte. Da unsere Sommer immer trockener werden, ist es möglich, dass sich verschiedene Nutzungsinteressen, zum Beispiel die Speicherung für die Stromproduktion und die Bewässerung, künftig vermehrt überschneiden. «Es wird in Zukunft immer stärker darum gehen, mit dem Wasser zu haushalten, sowohl auf der Angebots- wie auch auf der Nachfrageseite. Dazu braucht es bessere Entscheidungsgrundlagen», erklärt Astrid Björnsen. Dies auch deshalb, weil die natürliche Wasserspeicherung als Schnee und Gletschereis in den Gebirgen je länger, je mehr abnimmt und zu niedrigen Sommerabflüssen führt. «Die Sommertrockenheit von 2018 ist ein Paradebeispiel dafür, wie das Wetter in der Schweiz in den wärmeren Monaten in Zukunft sein dürfte», sagt Astrid Björnsen. «Wir werden zwar auch in Zukunft genug Wasser haben. Was sich aber verändert, sind eben die Abflüsse. Fällt im Winter mehr Regen als Schnee, fliessen die Niederschläge sofort ab und fehlen den Flüssen im Sommer.» Auf diesen Umstand hat das Bundesamt für Umwelt reagiert und die WSL beauftragt, zu erfassen, wie viel Wasser in den Stauseen und in den natürlichen Seen zur Deckung zukünftiger Wasserknappheit vorhanden ist und wie sich die Nachfrage entwickelt. «Wir wollen herausfinden, ob es weitere Speicher braucht oder ob man bestehende Speicher für mehrere Zwecke nutzen sollte. Es gilt auch zu prüfen, ob und wie die Konzessionen der Wasserkraftbetreiber, die in der nahen Zukunft erneuert werden sollten, angepasst werden müssten.»

Biomasse als 
Hoffnungsträgerin

Ein noch weitgehend ungelöstes Problem ist die über Tages- und Jahreszeiten nicht konstante Produktion von Wind- und Sonnenergie beziehungsweise deren nachhaltige Speicherung. Dazu kommt, dass es einerseits Verbrauchsspitzenzeiten und andererseits Zeiten geringer Nachfrage gibt. Genau hier kann die Biomasse – es gibt sie als Holz sowie unverholzt – ansetzen. Zu den nicht verholzten zählen Hofdünger (Mist und Gülle), Ernterückstände, Klärschlamm, Grüngut und weitere organische Abfälle. Vanessa Burg, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der WSL, erklärt: «Der grosse Vorteil von Biomasse liegt in ihrer Lagerfähigkeit und in der flexiblen Bereitstellung von Energie.» Aus all diesen Biomassen kann Energie erzeugt werden, und zwar sowohl Wärme und Strom als auch Treibstoff, und dies in fester oder flüssiger Form sowie als Gas. Die Bioenergie ist deshalb eine richtige Allrounderin, und zudem ist ihr Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft. Über alle Kategorien gerechnet liesse sich in der Schweiz ungefähr doppelt so viel Biomasse nutzen, wie derzeit (vor allem zur Produktion von Wärme und Strom) verwendet wird. Dies hält eine Studie¹ der WSL von 2017 fest. Die Verdoppelung entspräche umgerechnet zwar lediglich etwa neun Prozent des Schweizer Verbrauchs. Doch weil die Gewinnung von Energie aus Biomasse steuerbarer ist, kann Biomasse die Engpässe bei anderen Energieformen (v. a. Wind und Photovoltaik) ausgleichen. Biomasse ist deshalb ein wertvoller Rohstoff, der ohnehin in der Schweiz vorhanden ist und der sich auf effiziente Weise in Energie umwandeln lässt.

Hofdünger hat Zukunft

Warum also nicht in Zukunft Traktoren oder Lastwagen mit Biokraftstoff aus Gülle und Mist antreiben, damit heizen oder Strom erzeugen? Doch sind die Schweizer Landwirte bereit, Hofdünger neu (auch) als Energiequelle bereitzustellen? Dies werden Vanessa Burg und ihr Team nun im Rahmen einer Studie des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Bioenergieforschung SCCER BIOSWEET prüfen. 1 «Wir machen zurzeit eine grosse Umfrage, um herauszufinden, wie die Landwirte zur Produktion von Energie aus Hofdünger stehen. Auch wenn mit Biomasse nur ein kleiner Teil des Bedarfs an erneuerbaren Energien abgedeckt werden kann, ist sie doch ein wichtiger Teil im Gesamtpuzzle Energiewende Schweiz», ist Vanessa Burg überzeugt.