Effizienz und die neuen erneuerbaren Energien können in der Schweiz zum tragenden Pfeiler in der Stromproduktion werden. Diese Energiewende hin zu «100% Erneuerbar in allen Sektoren» ist machbar und finanzierbar.
Text: SSES/Redaktion
Welche Optionen stehen der Schweiz zur Verfügung? Ohne Blick auf die gesetzlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Rahmenbedingungen kämen grundsätzlich folgende Kraftwerkstypen infrage: fossile Kraftwerke, die Öl, Gas oder Kohle verbrennen, Kernkraft, alle erneuerbaren Energieformen wie Sonne, Wind, Wasser oder Biomasse oder sogenannte «Negawatt-Kraftwerke», welche die Einsparungen durch Effizienzsteigerungen bezeichnen. Doch auf welches Pferd sollen wir setzen? Aufgrund der sich deutlich abzeichnenden, CO2-bedingten Klimaänderungen sind fossile Kraftwerke keine Option. Auch die Kernkraft ist wohl keine realistische Option, selbst wenn man davon absieht, dass mit der Annahme der Energiestrategie 2050 der Neubau von Kernkraftwerken ausgeschlossen ist.
Die nachfolgende Tabelle zeigt die Potenziale der neuen erneuerbaren Energien, die schon bestehende Wasserkraft ist hier nicht berücksichtigt:
Technologie | Begrenzung | Kosten pro kWh | Potenzial in CH |
Photovoltaik | Standorte | bei massivem Zubau: ca. 6 Rp, heute: 10-12 Rp | 38 bis 50 TWh/Jahr |
Wind | Standorte | ca. 15-20 Rp | 4 TWh/Jahr |
Biomasse | begrenzt durch die Verfügbarkeit des vergärbaren Materials | ca. 15-45 Rp | 2 TWh/Jahr |
Wasserkraft | Standorte | ca. 5-15 Rp | 15 TWh/Jahr |
Negawatt: Stromeffizienz | keine | ca. 1-25 Rp | 15 TWh/Jahr |
Negawatt: Mobilitätseffizienz (Umstellung auf E-Mobilität) | Fahrzeugpark | ca. 1-25 Rp | 40 TWh/Jahr |
Negawatt: Gebäudeeffizienz (Dämmung, alternative Heizsysteme, 20 °C Raumtemperatur statt 21-23 °C) | Gebäudebestand | ca. 1-25 Rp | 35 TWh/Jahr |
Nadia Sperr und Jürg Rohrer, https://doi.org/10.21256/zhaw-3325
Der erneuerbare Weg
Da für die Schweiz aus oben genannten Gründen realistischerweise sowohl die fossile als auch die nukleare Option ausscheiden, bleiben nur noch die erneuerbaren Energien sowie die «Negawatt-Kraftwerke». Letztere sind energetisch gesehen am günstigsten, denn sie erzeugen keine Energie, sondern sorgen durch Effizienzsteigerungen (zum Beispiel in der Industrie) dafür, dass weniger Energie produziert werden muss. Nebst den «Negawatt-Kraftwerken» (siehe Kasten) müssen wir aber auch den Schweizer Kraftwerkspark modernisieren. Und hier muss das Hauptaugenmerk auf den erneuerbaren Energien liegen.
Negawatt-Kraftwerke
Das Projekt «Negawatt statt Megawatt», ein interdisziplinäres Projekt der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, ist zum Ergebnis gekommen, dass in Schweizer Unternehmen der Energieverbrauch um 30% gesenkt werden könnte. Trotz teils intensiven Bemühungen seitens Wirtschafts- und Umweltverbänden, Energieversorgungsunternehmen und Energiefachstellen von Kantonen und Gemeinden wurden diese beachtlichen Energieeinsparpotenziale bis heute erst ungenügend ausgeschöpft. Die ZHAW hat im Speziellen KMU mit einem Stromverbrauch zwischen 10 und 500 MWh pro Jahr betrachtet. Das technische Potenzial für Stromeinsparungen bei diesen KMU wird auf 5,7 TWh pro Jahr geschätzt, was 10% des Stromverbrauches in der Schweiz entspricht. Mindestens zwei Drittel davon wären für die KMU schon heute wirtschaftlich umsetzbar, was einer Einsparung von 3,8TWh pro Jahr entspricht. WS
Über sehr grosses Potenzial verfügt die Solarenergie – in der Schweiz stellt sie das grösste ungenutzte Potenzial dar. Sie ist in den letzten Jahren zur preiswertesten Energieform mit kWh-Preisen zwischen acht und zwölf Rappen geworden. In Deutschland, wo grosse Freiflächenanlagen gebaut werden, liegen die kWh-Preise für neue Anlagen bei circa drei Rappen. Auch sind Solarkraftwerke die einzigen Energieproduktionsstätten, die schnell, dezentral und ohne langwierige Standortsuchen sowie Bewilligungsverfahren zugebaut werden können. Hier kann sich jeder Bürger und jede Bürgerin unkompliziert und direkt an der Energiewende beteiligen, denn die Energiewende wird nur gelingen, wenn wir alle mithelfen und an einem Strang ziehen.
Dass die Umstellung auf «100% erneuerbar» machbar, finanzierbar und vor allem nachhaltig ist, haben verschiedenste Studien gezeigt – und dies, obwohl wir hier vor enormen Aufgaben stehen: So verbrennt und verfährt unser Land pro Stunde circa 1,3 Millionen Liter Erdöl. Zählt man noch die Raffinerie- und Transportverluste dazu, sind es gar circa 1,6 Millionen Liter pro Stunde! Interessanterweise ist dieser enorme Energiebedarf erst in den letzten 60 Jahren entstanden: Der Pro-Kopf-Energieverbrauch ist heute zweieinhalbmal höher als 1960, obwohl auch damals die Grundbedürfnisse der Bevölkerung gedeckt waren. Die «grossen Verursacher» dieser Vervielfachung sind die Mobilität, die Entwicklung des Gebäudeparks und die Konsumartikel. Ein Beispiel: Die motorisierte Individualmobilität und der Strassengüterverkehr hatten im Jahr 2017 einen Energieverbrauch von 55TWh. Rund 80% dieser Energie wurden in Wärme und lediglich 20% in Bewegung umgesetzt. Setzt man hier konsequent auf Elektromobilität – mit Antriebseffizienzen von 80% und mehr –, dann reduziert sich der Energiebedarf im Mobilitätssektor (ohne Flugverkehr) in der Schweiz auf 15 TWh pro Jahr. Würde man zeitgleich statt auf immer grössere Fahrzeuge auf kleine und leichte Fahrzeuge setzen, wären der Ressourcenverbrauch sowie die notwendige (Lade-)Infrastruktur noch einmal deutlich kleiner.
Kosten sind tragbar
Zusammengefasst: Die Energiewende wird schneller, preiswerter und ressourcenschonender gelingen, wenn nebst Umstellung auf erneuerbare Energien auch die Effizienz unserer Energienutzung massiv gesteigert wird. Aufgrund des knappen Zeithorizonts, der angesichts der dramatischen Klimaveränderungen noch bleibt, liegt es nahe, dass beim Umbau vor allem auf vorhandene, serienreife Technologien gesetzt werden muss. Der Ausbau der vorhandenen Potenziale reicht zusammen mit der existierenden Wasserkraft aus, um das Ziel «100% erneuerbar in allen Sektoren» zu erreichen. Zudem ist diese Energiewende auch finanzierbar. Der dazu notwendige Ausbau der Photovoltaik und der Windenergie inklusive allfälliger Netzumbauten und Speicher wäre nach Schätzungen der ZHAW mit einmaligen Kosten von rund 57Milliarden Franken verbunden.¹ Diese Zahl scheint viel grösser, als sie ist. Denn der mit dem Umbau produzierte Strom wäre nach der Abschreibung dieser Investition gratis, da keine Brennstoffkosten mehr anfielen. Oder aber wir bezahlen (wie bisher auch) für die verbrauchte Energie, dann wäre der Umbau wohl innerhalb von 10 bis 20 Jahren amortisiert. Angesichts der Mittel, die aktuell für die Bewältigung der Corona-Krise innert kürzester Zeit freigemacht werden, scheint es auch möglich, entsprechende Mittel zur Bewältigung der Klima-Krise bereitzustellen – wenn der politische Willen vorhanden ist.
Jetzt beginnen
Klar, die Schweiz alleine kann mit ihren Massnahmen im Inland die Welt nicht retten. Aber als hoch entwickeltes Land steht sie – ethisch, moralisch und technisch gesehen – in der Verantwortung, beim Umbau der Energieversorgung voranzuschreiten und nicht hinterherzugehen. Zumal die Schweiz durch «Energiepartnerschaften» auch mithelfen kann, in einem von der Grösse her vergleichbaren Partnerland die Energieproduktion auf «100% erneuerbar» umzustellen. In einer Energiepartnerschaft hätten wir eine Art Göttifunktion: Im gleichen Masse, wie wir unser Land fit für die Zukunft machen, helfen wir auch dem Partnerland, seine Energieproduktion umzustellen. Dies ist letztlich auch wirtschaftlich interessant. Deshalb: Packen wir es endlich an. Notwendig sind dazu aber griffige Gesetze, bindende Absenkpfade mit realistischen Zwischenzielen inklusive klarer Handlungsoptionen bei Nichterreichung. Dies insbesondere in Bereichen, wo die Idee der «Eigenverantwortung» nicht funktioniert, beispielsweise bei besonders energie- und umweltschädlichen Verfahren. Dass dieser Umbau nicht ganz reibungslos funktionieren wird und wir während der Umbauphase Feinjustierungen vornehmen werden und uns neu abstimmen müssen, ist klar. Aber wir sollten endlich anfangen und dafür aufhören, Partikularinteressen zu hoch zu werten. Die nachfolgenden Generationen werden uns dafür danken.