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Wahlen und Klimawandel: Herausforderungen und Chancen

Am 22. Oktober wählt die Schweiz ihre gesetzgebende Gewalt, die Legislative. Neben der traditionellen Partei­bindung und dem Vertrauen in die Politikschaffenden sind vor allem Sach- und emotionale Themen ausschlaggebend für den Wahlentscheid. Die Umfragen von Sotomo im Juli deuten darauf hin, dass nach der grünen Welle bei den Wahlen 2019 die politische Landschaft erneut in Bewegung gerät. Mit einem erwarteten Zuwachs für die SVP und die SP sowie einem deutlichen Verlust für die Grünen kann es Verschiebungen geben, welche die Zukunft des Landes massgeblich beeinflussen werden.

Text: Linda Wachtarczyk

Hilfreiche Links zu den Wahlen
Wahlentscheidungshilfe
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Der Klimawandel ist zweifellos die grösste politische ­Herausforderung, der die Schweiz gegenübersteht. Das zeigt die Umfrage von Sotomo: Beeindruckende 40% der Befragten nennen den Klimawandel als das wichtigste politische Problem im Land. Damit überragt dieses Thema alle anderen Herausforderungen zum Teil klar. Die alarmierende Dringlichkeit, die von dieser globalen Krise ausgeht, wird nicht nur von Wissenschaftlern betont, sondern auch von der breiten Bevölkerung anerkannt. Mit der Annahme des Klimagesetzes hat die Schweiz in diesem Jahr bereits ihr Zeichen gesetzt und das Bekenntnis zu mehr Klimaschutz abgelegt. Dennoch bleibt der Weg zur Energiewende und zu einer klimaneutralen Zukunft noch steinig und weit. Und angesichts dieser Um­frageresultate ist es doch sehr erstaunlich und überraschend, dass die Partei, die einst als die kompetenteste Kraft im Kampf gegen die Klimakrise galt, rund 3% ihres Wähleranteils verlieren soll. Hat das Thema trotz seiner Dringlichkeit seine einstige Mobilisierungskraft verloren? Oder haben die Grünen in der letzten Legislaturperiode mit ihrer Politik enttäuscht? Das Wahlbarometer allein kann diese Fragen nicht abschliessend beantworten. Um die Entwicklungen und die Ergebnisse der Meinungsumfrage zum Thema Klimawandel besser zu verstehen, ordnet Politologe Karel Ziehli die Zahlen ein. Dabei geht es um die Dynamik der bevorstehenden Wahlen und den Zusammenhang mit der Bewältigung der drängenden Klimakrise (Seite 10).
Abgesehen vom Klimawandel (mit 40%) werden auch potenziell steigende Krankenkassenprämien (mit 38%), Zuwanderung (mit 29%) und Versorgungs- und Energiesicherheit (mit 26%) als die wichtigsten politischen Herausforderungen des Landes benannt. Hier offenbart sich ein faszinierendes Bild, wenn man die Sprachregionen, Altersgruppen und Geschlechter genauer betrachtet. Denn die demografischen Unterschiede sind augenfällig. In den italienisch- und französischsprachigen Gebieten des Landes stehen die steigenden Krankenkassenprämien an erster Stelle der politischen Herausforderungen. Hingegen beschäftigt, im Geschlechter- und Altersvergleich, vor allem Frauen und jüngere Menschen in erster Linie der Klimawandel. Es fällt auf, dass ältere Menschen und Männer dieser Problematik weniger kritisch gegenüberstehen.

Das Wahlparadoxon und die Herausforderung des Klimawandels

Obwohl die Beteiligung an Abstimmungen über konkrete Vorlagen vergleichsweise hoch ist, liegt die Wahlbeteiligung seit Jahren im Durchschnitt unter 50%. Mit dem Abstimmen über klare und spezifische politische Vorlagen können Menschen direkt auf politische Ereignisse einwirken und greifbare Veränderungen herbeiführen. Auf der anderen Seite stehen die Wahlen, bei denen man seine Vertretung wählen muss, die dann in der Lage sein soll, im Parlament wichtige Entscheidungen zu treffen. Die subjektive Einschätzung des geringeren Einflusses bei Wahlen und das zum Teil mangelnde Vertrauen in Parteien und Kandidierende führt zum eingangs aufgezeigten Wahlparadoxon. Es betrifft viele Teile der Bevölkerung – wobei die Kosten des Wählens als höher eingeschätzt werden als dessen Nutzen. Für die Wahlresultate kommt es also nicht nur darauf an, wie viele Menschen ihre Stimme abgeben, sondern auch, wer diese Möglichkeit wahrnimmt. Besorgniserregend ist, dass ausgerechnet die Gruppe, die am stärksten vom Klimawandel betroffen ist, auch diejenige ist, die am wenigsten zur Urne geht: Von den unter 30-Jährigen geht lediglich jede dritte Person wählen. Demgegenüber haben die Ältesten, bei denen der Klimawandel vergleichsweise weniger Auswirkungen haben wird, die höchste Wahlbeteiligung. Wegen dieser Unterschiede in der Beteiligung ist es angesichts der drängenden Herausforderungen, die der Klimawandel für die Schweiz mit sich bringt, von grösster Bedeutung, dass die Wahlbeteiligung besonders bei den Jungen gestärkt wird.
Inmitten der drängenden Herausforderung des Klimawandels ist es ebenfalls von entscheidender Bedeutung, die Stimme von Fachleuten im Bereich der Energiewende und der erneuerbaren Energien zu hören. Eine solche Stimme ist Dr. Henrik Nordborg, Leiter des Studiengangs «Erneuerbare Energien und Umwelttechnik» an der Fachhochschule OST. Als führender Kopf auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Zukunft teilt er im Interview seine persönliche Sicht auf die zentralen Schritte, die bei den bevorstehenden Wahlen ergriffen werden müssen (Seite 12).

Von Anfang bis heute: 175 Jahre Schweizer Demokratie und ihre ­Meilensteine

175 Jahre nach der Gründung der Schweizer Demokratie steht die Bevölkerung erneut vor der Aufgabe, die Politikschaffenden für die nächsten vier Jahre zu wählen. In diesem Zeitraum hat sich politisch und gesellschaftlich vieles verändert, und die Demokratie hat sich weiterentwickelt. Zu Beginn gab es noch kein Wahlgesetz, was in den verschiedenen Kantonen zu kuriosen Situationen führte. Erst im Jahr 1850 wurde ein solches Gesetz eingeführt, das unter anderem das absolute und das relative Mehr in den Kantonen regelte und verhinderte, dass sich Personen in mehreren Wahlkreisen aufstellen liessen.
In den folgenden Jahren waren die Wahlen teilweise von Anspannung und Konflikten geprägt. Ein markantes Beispiel ist das Jahr 1854, als die Tessiner Nationalratswahlen aufgrund von Wahlbetrug und Gewalttaten annulliert werden mussten. Das kantonale Wahlgesetz des ­Tessins erlaubte es, in jedem Wahlkreis des Kantons zu wählen, was zu Missbrauch führte. Nach eingehender Untersuchung wurde das Ergebnis annulliert, und die Radikalen zogen mit einem Vorsprung in den Nationalrat ein.
Im Laufe der Zeit wurde erkannt, dass das Majorzwahlsystem die Sitzverteilung zulasten kleinerer Parteien beeinflusste. Schliesslich stimmte das Volk 1919 für eine Proporzwahl des Nationalrates, was die Machtverhältnisse im Bundeshaus deutlich veränderte und den Sozialdemokraten und der Bauernpartei (heute SVP) zusätzliche Sitze verschaffte. Die Sitzverteilung blieb daraufhin weitgehend ausgeglichen und breiter abgestützt, was das Parlament breiter repräsentierte.
Ein weiterer Meilenstein war die Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1971. Über Jahrzehnte hinweg hatten Frauenbewegungen auf kantonaler und nationaler Ebene für das Stimmrecht gekämpft. Nach zahlreichen Anläufen und Abstimmungen wurde das Frauenstimmrecht schliesslich mit 65,7% Jastimmen angenommen, was einen bedeutenden Schritt hin zur Gleichberechtigung darstellte. Im Jahr 1991 wurde zudem das Stimmrecht von 20 auf 18 Jahre gesenkt, um jungen Menschen eine frühere politische Beteiligung zu ermöglichen.
Heute, 175 Jahre nach der Gründung der schweizerischen Demokratie, sind die Wahlen immer noch ein entscheidender Moment, um die Weichen für die Zukunft zu stellen und dafür zu sorgen, dass die Interessen und Anliegen der Bevölkerung angemessen vertreten werden. Es liegt in der Verantwortung der Wählerinnen und Wähler, ihre Stimme abzugeben und diejenigen Politikerinnen und Politiker zu wählen, die sich für eine nachhaltige, zukunftsorientierte und verantwortungsbewusste Politik einsetzen. Insgesamt spiegeln die Wahlen nicht nur den aktuellen politischen Standpunkt wider, sondern bieten auch die Möglichkeit, politische Veränderungen herbeizuführen und einen positiven Beitrag für die Gesellschaft und die Umwelt zu leisten. Die politische Partizipation und das Engagement jedes einzelnen Menschen sind unerlässlich, um die Demokratie lebendig zu halten und eine nachhaltige und blühende Zukunft für die Schweiz zu gestalten.

www.sotomo.ch/site/wp-content/uploads/2023/07/SRG_Wahlbarometer_Hauptbericht.pdf

«Die Zerstörung des einzigen bewohnbaren Planeten im uns bekannten Universum ist ein politisches Problem.»

Zur Person
Henrik Nordborg
leitet an der Ostschweizer Fachhochschule OST den Studiengang «Erneuerbare Energien und Umwelttechnik» und arbeitet dort auch als Professor für Physik. Als Experte beschäftigt er sich nicht nur im beruflichen Umfeld, sondern auch privat mit Lösungen für den Klimawandel.

Warum ist es im Hinblick auf unsere Klima- und Energie­politik wichtig, wählen zu ­gehen?
Die Zerstörung des einzigen bewohnbaren Planeten im uns bekannten Universum ist ein politisches Problem. Die Naturgesetze können wir nicht ändern. Neue Technologien brauchen Zeit, um entwickelt und flächendeckend eingesetzt zu werden. Diese Zeit fehlt uns aber. Somit bleibt uns nur die Politik, die schnell genug handeln kann und muss. Dafür brauchen wir aber die richtigen Politikerinnen und Politiker.

Sie sind als Leiter des Studiengangs «Erneuerbare Energien und Umwelttechnik» an der Ostschweizer Fachhochschule tagtäglich mit erneuerbaren Energien, aber auch mit Klimaproblematiken beschäftigt. Welchen Anspruch stellen Sie als Experte an die Schweizer Politik?
Eine klare und glaubwürdige Botschaft. Nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Privatpersonen brauchen Planungssicherheit, um in erneuerbare Energien oder Energiesparmassnahmen zu investieren. Niemand macht gerne ein schlechtes Geschäft. Es braucht einfache und transparente finanzielle Anreize. Über eine CO2- bzw. Energiesteuer könnten Mindestpreise für nicht erneuerbare Energie festgelegt werden.

Wo sehen Sie die Herausforderungen der Schweizer Politik im Umgang mit diesen dringlichen Themen?
In einer Demokratie passiert nichts, wenn ein Grossteil der Bevölkerung nicht von der Notwendigkeit der Veränderung überzeugt ist. In der COVID-Pandemie war die Bedrohung offensichtlich, und die Bevölkerung hat (zähneknirschend) mitgemacht. Bei der Klimakrise fehlt das Krisenbewusstsein immer noch. Regierungen auf der ganzen Welt müssten viel deutlicher kommunizieren, dass es bei der Klimakrise um das Überleben der Menschheit geht.

Was denken Sie, warum wird diese klare Kommunikation verfehlt?
Wahrscheinlich, weil die Regierungen Angst davor haben, was eine klare Botschaft auslösen könnte. Das Problem ist, dass sie nicht wissen, was zu tun ist. Nach über 30 Jahren Klimadebatte hat kein einziges Land eine Klimapolitik, die hinreichend ambitioniert wäre, um die Erwärmung auf weniger als 2 °C zu begrenzen. Ehrlich kommunizieren hiesse auch, das eigene Scheitern einzugestehen.

In Ihrer Publikation «Ist die Zukunft mehrheitsfähig?» gehen Sie darauf ein, dass unsere Gesellschaft eine Transition nötig hat. Was meinen Sie damit?
Inzwischen wissen wir, dass technische Lösungen nicht ausreichen, um die Klimakrise zu bewältigen. Wir brauchen ein radikales Umdenken und einen Umbau der Gesellschaft. Das Beste, was wir tun können, um die Umwelt zu schützen, ist gar nichts: nichts kaufen, nicht reisen und möglichst wenig Fleisch essen. Leider ist das kapitalistische System darauf ausgerichtet, immer mehr zu tun und mehr zu produzieren. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen Unternehmen ihre Produktivität ständig steigern. Das höchste Ziel ist es, mit möglichst wenig Angestellten möglichst viel zu produzieren. Es stellt sich dabei die Frage, wer den ganzen Müll kaufen soll. Oder, wenn der Konsum und somit die Gesamtproduktion nicht gesteigert werden können, was die wegrationalisierten Menschen tun sollen.
Ich bin kein Gegner von Technologie und Innovation. Das Problem ist, dass der grösste Teil des Wirtschaftswachstums der vergangenen 100 Jahre auf Ausbeutung basiert hat. Entweder wurden Menschen ausgebeutet oder die Natur. Die kostengünstige Produktion eines Smartphones erfordert beides.

Wo sehen Sie den Nutzen der Technologien für die Bewältigung des Klima­wandels?
Das Ziel ist klar: Die Nutzung fossiler Brennstoffe muss so schnell wie möglich beendet werden. Ob wir sie durch andere Energiequellen ersetzen können, ist dem Klima egal, uns aber nicht. Wenn wir auch ohne fossile Brennstoffe ein komfortables Leben führen wollen, brauchen wir neue Technologien. Die Entwicklung der erneuerbaren Energiequellen wie Photovoltaik und Windkraft ist sehr weit fortgeschritten. Die gros­se Herausforderung sehe ich bei der Speicherung der elektrischen Energie sowie bei der Einbindung der erneuerbaren Energien in das Stromnetz. Hier gibt es Potenzial für sehr spannende Forschung, denn das Stromnetz der Zukunft muss intelligenter werden.

Sie schildern in Ihrer Publikation ebenfalls, dass es eben auch in Demokratien nicht zu langfristigen, mehrheitsfähigen Lösungen kommt. Wie könnten wir das ändern?
Es muss eine glaubwürdige, aber immer noch positive Vision der Zukunft formuliert werden. Das Problem in der Klimadebatte ist, dass das Stimmvolk häufig die Wahl zwischen zwei Lügen hat. Die eine Seite behauptet, dass der Klimawandel kein Problem sei. Die andere, dass die Bewältigung des Klimawandels kein grösseres Problem darstellt. Beides ist falsch. Die Dekarbonisierung der Gesellschaft stellt eine gigantische Aufgabe dar. Es lohnt sich, diese anzugehen.

Welche Rolle spielt dabei die Uninformiert­heit der Wählerinnen und Wähler?
Eine sehr grosse Rolle. Wobei ich lieber von Falschinformiertheit reden würde. In einer Zeit, in der die Menschen ständig angelogen werden, ist es schwierig, eine richtige Wahl zu treffen.

Was raten Sie Schweizer Bürgerinnen und Bürgern bezüglich ihres (Nicht-)Wahlverhaltens?
Erstens, geht wählen! Es ist nicht egal, wer im Parlament oder in der Regierung sitzt. Zweitens, denkt nach! Nur wer die politischen Botschaften kritisch hinterfragt, kann richtig entscheiden. Dabei geht es weniger um die Details als um die grundsätzliche Einstellung der Politikerinnen und Politiker. Wer immer noch versucht, die Gefährlichkeit des Klimawandels zu leugnen, ist nicht wählbar.

Zu guter Letzt: Auf Ihrer Website steht der Spruch «Giving Our Children a ­Reason Not to Hate Us», worauf beziehen Sie sich hier? Könnte man dies auch mit den National- und Ständeratswahlen 2023 in Verbindung setzen?
Die Menschheit steht vor gigantischen Herausforderungen. Persönlich bin ich nicht sicher, dass wir die Kurve kriegen werden. Wenn wir es aber nicht probieren, werden wir es nicht schaffen. Leider wollen viele Menschen dies nicht wahrhaben und versuchen stattdessen das Problem zu leugnen. Die Ursachen dafür sind in der Psychologie und im Begriff der kognitiven Dissonanz zu finden.
Für die Wahlen im Herbst 2023 stellen sich nur zwei Fragen: Erstens, wollen wir unseren Kindern weiterhin in die Augen schauen können und, zweitens, wollen wir Politikerinnen und Politiker wählen, die das Problem wenigstens verstanden haben?

 

«die Grünen werden als die kompetenteste Partei bei der Bewältigung der Klimafrage wahrgenommen»

Zur Person
Karel Ziehli
arbeitet an der Universität Bern als Politologe für «Année politique suisse» – die Polit-Wikipedia der Schweizer Politik. Aktuell befasst er sich mit Dossiers zu Klima- und Umweltfragen und ist Experte für das Thema Landwirtschaft.

Das Wahlbarometer von Sotomo hat gezeigt, dass der Klimawandel als grösste politische Herausforderung wahrgenommen wird. Dennoch existiert eine interessante Dissonanz, denn viele ­Menschen betrachten zum Beispiel die Klimakleber als eines der grössten Ärgernisse derzeit. Was könnte diese Diskrepanz erklären?
Es gibt verschiedene Elemente, die berücksichtigt werden müssen. Zum einen sind die Art der Fragestellung und die Umfragemethode entscheidend und beeinflussen die Ergebnisse solcher Meinungsumfragen stark. So wird das Klimathema in der Wahlumfrage von LeeWas (im Auftrag von Tamedia) nicht an erster, sondern an fünfter Stelle genannt. Dieser Unterschied entsteht, da in der Umfrage von Sotomo nur die drei wichtigsten Probleme genannt werden durften, während es in der Umfrage von LeeWas keine Beschränkung für die Nennung von politischen Herausforderungen gab. Dies kann das Ergebnis einer Umfrage erheblich beeinflussen, da alle Probleme genannt werden, unabhängig von ihrer wahrgenommenen Dringlichkeit.
Aber wenn es eine Dissonanz gibt, dann ist sie zu erklären mit der wahrgenommenen Inkongruenz zwischen dem politischen Instrument und dem Ziel der Klimakleber. Für viele Menschen erscheint das politische Instrument der Klimakleber nicht verständlich, da der Zusammenhang zwischen diesen Aktionen und der Bekämpfung des ­Klimawandels für die meisten unklar ist. Viele sehen nicht, wie diese Aktionen tatsächlich etwas bewirken können, sondern betrachten sie eher als Störung des täglichen Lebens. Häufig wird argumentiert, dass die direkte Demokratie in der Schweiz andere Mittel bietet, um Themen auf das politische Parkett zu bringen, wie beispielsweise durch Initiativen.

Welche Partei wird am kompetentesten erachtet, um Lösungen für diese politische Herausforderung zu erarbeiten?
Die Umfragen der letzten Jahre zeigen, dass die Grünen als die kompetenteste Partei bei der Bewältigung der Klimafrage wahrgenommen werden, gefolgt von den Grünliberalen, wenn auch mit grossem Abstand. Die Daten dazu sind auf Selects zu finden. Für das Jahr 2023 liegen bisher noch keine Daten vor.

Was könnten die Gründe dafür sein, dass gerade diese Partei bei den nächsten Wahlen Sitze verlieren wird?
Hier gibt es auch verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Im Moment dominieren auch andere Themen, die sehr präsent sind, wie soziale Probleme, Gesundheitskosten und die Altersvorsorge. Bei sozialen Fragen wird die SP als die kompetenteste Partei betrachtet, was erklären könnte, warum die SP bei den letzten Umfragen an Zustimmung gewinnt und die Grünen verlieren. Bei den letzten Wahlen im Jahr 2019 konnten wir das Gegenteil beobachten, als die Grünen ihren Wahlsieg nicht wirklich durch die Mobilisierung ihrer Basis erreichten, sondern von den wechselhaften Wählern der SP profitierten. Des Weiteren haben verschiedene Parteien im vergangenen Jahr gezeigt, dass sie auch in Klimafragen wirksam handeln können. Beispielsweise wurde das Klimagesetz als Schweizer Kompromiss von allen grossen Parteien ausser der SVP unterstützt. Ein weiteres Beispiel wäre der aktuell im Parlament behandelte Mantel­erlass. Der Klimaschutz ist ein Thema, wo kaum noch eine Partei passiv bleibt.

Wie kommt es dann zum Anstieg des Wähleranteils der SVP?
Im Jahr 2019 standen die Themen aus dem linken Spektrum sehr stark im Vordergrund, während die Themen Migration und Asyl, die die Hauptthemen der SVP sind, in den Medien weniger präsent waren. Dadurch wurde die Wählerschaft weniger mobilisiert als im Jahr 2015. Kürzlich hat die SVP eine Initiative lanciert, die die Bevölkerungszahl der Schweiz auf zehn Millionen begrenzen soll. Das kann auch als Strategie wahrgenommen werden, um die Wählerbasis zu mobilisieren. Es ist für jede Partei eine Herausforderung, in einem Wahljahr ihre politische Agenda durchzusetzen.

Wie stark kann die Mobilisierung den Wahlausgang beeinflussen und von den Prognosen abweichen lassen?
Vor vier Jahren gab es einen grossen Unterschied zwischen den Umfragen und den Schlussergebnissen. Letztendlich sind Umfragen nur Momentaufnahmen, die eine Tendenz aufzeigen können. Was bis im Oktober passiert und wie stark die Parteien ihre Wählerschaft mobilisieren können, kann einen grossen Unterschied machen. Die Monate vor einer Wahl sind sehr entscheidend. Im Jahr 2015 zum Beispiel beeinflusste die Ankunft von vielen Asylsuchenden in Europa den Ausgang der Wahlen stark. Die kommenden Monate bis zu den Wahlen werden also von zentraler Bedeutung sein.