Die schweizerische Wasserkraft trägt heute mit gegen 60 Prozent massgeblich zur inländischen Stromproduktion bei. Der Erhalt und weitere Ausbau dieser erneuerbaren Energiequelle ist daher ein erklärtes Ziel der Energiestrategie 2050. Eine neue Studie des Bundesamts für Energie (BFE) untersucht, ob dieser angestrebte Ausbau aufgrund der vorhandenen Potenziale erreicht werden kann.
Pressedienst/Redaktion
Die Richtwerte im Energiegesetz und in der Botschaft zur Energiestrategie 2050 basieren auf einer Analyse des Wasserkraftpotenzials, die das BFE im Jahr 2012 erarbeitet hatte. Ausgehend vom Basisjahr 2011 wurde damals das Ausbaupotenzial für die schweizerische Wasserkraft bis zum Jahr 2050 auf eine Bandbreite von 1530 GWh/Jahr unter den geltenden Nutzungsbedingungen bis 3160 GWh/Jahr unter optimierten Nutzungsbedingungen geschätzt. Das BFE hat diese Potenzialanalyse nun aktualisiert, da sich seither sowohl die wirtschaftlichen als auch einige gesetzliche Rahmenbedingungen geändert haben. Beigezogen wurden dafür alle relevanten Akteure (Strombranche, Energiefachstellen der Kantone, Wissenschaft, Umweltverbände und Bundesbehörden). Ziel war, die angestrebten Ausbau-Richtwerte auf ihre Erreichbarkeit zu überprüfen.
Resultate:
Zubau seit 2012
Die durchschnittliche Produktionserwartung gemäss Statistik der Wasserkraftanlagen der Schweiz (WASTA) plus der Produktionserwartung der Kleinstwasserkraftwerke (< 300 kW installierte Generatorleistung) abzüglich des mittleren Strombedarfs der Zubringerpumpen lag 2012 bei 35’350 GWh/Jahr und per 1. Januar 2019 bei 35’990 GWh/Jahr. Die durchschnittliche Jahresproduktion durch Neubauten, Erneuerungen und Erweiterungen hat also um 640 GWh/Jahr zugenommen.
Potenzial Grosswasserkraft kaum verändert
Das Potenzial neuer Grosswasserkraftwerke (Leistung grösser 10 MW) wurde anhand einer aktualisierten Liste von rund 30 konkreten Neubauprojekten abgeschätzt, die bereits 2012 bekannt waren. Bis 2050 liegt deren Potenzial bei 760 bis 1380 GWh/Jahr (2012: 770 bis 1430 GWh/Jahr). Das Potenzial von Erweiterungen und Erneuerungen bestehender Grosswasserkraftwerke beträgt 970 bis 1530 GWh/Jahr (2012: 870 bis 1530 GWh/Jahr).
Potenzial Kleinwasserkraft deutlich tiefer
Das Potenzial von neuen Kleinwasserkraftwerken (Leistung kleiner 10 MW) sowie von Erneuerungen und Erweiterungen wurde, wie 2012, anhand der aktuellen Anmeldeliste für die Einspeisevergütung und der Realisierungswahrscheinlichkeit der Projekte abgeschätzt. Das Potenzial bis 2050 liegt demnach bei 460 bis 770 GWh/Jahr und damit deutlich tiefer als 2012 (2012: 1290 bis 1600 GWh/Jahr). Zusätzlich muss mit einem Wegfall geplanter oder bestehender Kleinwasserkraftwerke gerechnet werden, die ohne Förderung nicht rentabel sind oder vom Netz gehen, sobald eine grössere Erneuerungsinvestition ansteht.
Deutlich höhere Produktionsverluste durch Restwasserbestimmungen
Die Restwassermengen sind seit Inkrafttreten des Gewässerschutzgesetzes im Jahr 1992 bei Neukonzessionierungen oder bei Erneuerungen bestehender Konzessionen einzuhalten. Neu werden die Produktionsverluste bis 2050 auf 1900 GWh/Jahr geschätzt (2012: 1400 GWh/Jahr). Die neue Schätzung wurde anhand einer Analyse von 107 bis Ende 2017 erteilten Konzessionen erstellt.
Nicht berücksichtigtes Potenzial
In der Analyse nicht berücksichtigt wurde einerseits das Potenzial von neuen Gletscherseen, das auf rund 700 GWh/Jahr geschätzt wird, sowie das Potenzial von Projekten, die von der Strombranche aus Vertraulichkeitsgründen nicht offengelegt wurden. Das geschätzte Potenzial bis 2050 könnte dadurch um mehrere hundert Gigawattstunden Jahresproduktion höher sein.
Schlussfolgerungen
- Im Vergleich zur Studie 2012 liegt das geschätzte Ausbaupotenzial bis 2050 unter optimierten Nutzungsbedingungen um rund 1’600 GWh/Jahr tiefer. Abzüglich des zwischen 2012 und 2019 erfolgten Zubaus von 640 GWh/a beträgt die effektive Differenz 960 GWh/Jahr.
- Der im geltenden Energiegesetz festgelegte Ausbaurichtwert bis 2035 ist erreichbar. Allerdings muss dazu fast das gesamte bis 2050 ausgewiesene Potenzial bereits bis 2035 realisiert werden. In den kommenden Jahren ist dafür ein Netto-Ausbau von durchschnittlich 85 GWh/Jahr nötig (seit 2011 lag dieser im Durchschnitt bei 87 GWh/Jahr).
- Ob der in der Botschaft zur Energiestrategie 2050 postulierte Ausbaurichtwert bis 2050 erreicht werden kann, bleibt aufgrund der vorliegenden Analyse unklar. Das geschätzte Potenzial bis 2050 könnte durch die Realisierung des Potenzials von Gletscherseen und heute noch nicht bekannten Neubauprojekten um mehrere hundert Gigawattstunden Jahresproduktion höher sein. Der Ausbau dieses Potenzials durch die Strombranche wird jedoch massgeblich von der Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die heimische Wasserkraft abhängen.