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Stauseen statt Gletscher?

Gletscher erfüllen wichtige Wasserkreislauf-Funktionen. Wenn sie schwinden, kommen damit erhebliche Ökosystemveränderungen mit. Bild: Pixabay.

Mit der Erderwärmung ist zu befürchten, dass noch in diesem Jahrhundert die meisten Gletscher von der Erdoberfläche verschwunden sein werden. Und damit auch wichtige Süsswasserspeicher. Wissenschaftler debattieren, ob man die schwindenden Eismassen in Stauseen auffangen könnte.

Pressedienst/Redaktion

In den kommenden Jahrzehnten wird die Mehrheit der Gletscher weltweit stark abschmelzen. Damit gehen wichtige Glieder im Wasserkreislauf verloren. Die Eismassen in den Hochgebirgen sind wichtige Wasserspeicher, die die Flüsse im Frühling und Sommer mit Schmelzwasser versorgen. Ohne sie werden Flüsse im Sommer deutlich weniger Wasser führen, was in vielen Regionen zu Problemen mit der Wasserversorgung führen wird. Wissenschaftler debattieren deshalb über die Möglichkeit, die schwindende Speicherfunktion der Gletscher künftig mit Stauseen zu ersetzen. Im Rahmen der Bestrebungen, künftig die fossilen Energieträger zu ersetzen, würden solche Stauseen zudem ein grosses Potenzial für die Wasserkraftproduktion bieten.

Stauseen anstatt Gletscher?

Zu dieser Diskussion trägt eine Gruppe von Glaziologen der ETH Zürich und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) Zahlen bei. In einer Studie untersuchten sie das weltweite Potenzial für Wasserspeicher und Wasserkraft in Gletschergebieten, die im Laufe dieses Jahrhunderts eisfrei werden dürfte. In dieser Studie analysierten die Forschenden 185‘000 Gletscher weltweit. Sie berechneten ein theoretisches Gesamt-Speicherpotenzial von 875 Kubikkilometern (km3) und ein maximales Wasserkraftpotenzial von insgesamt 1350 Terawattstunden (TWh) pro Jahr. „Nur ein Teil davon wäre in der Realität tatsächlich realisierbar.“, so Daniel Farinotti, Professor für Glaziologie an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich Nach einer ersten Eignungsprüfung der einzelnen Gletscherstandorte schätzen die Forscher rund 40% des theoretischen Gesamtpotenzials als «möglicherweise geeignet» ein. Dies entspräche etwa 13% der heutigen weltweiten Wasserkraftproduktion. Die neuen Stauseen könnten somit zur weltweiten Wasserkraftproduktion beitragen und zumindest teilweise dem drohenden Wassermangel in den Gletschergebieten entgegenwirken.

Kontext und Konsequenzen sind noch zu beurteilen

Das Speicher- und Wasserkraftpotenzial ist jedoch von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich. Besonders gross sei das Potenzial in Tadschikistan, wo neue Stauseen und Wasserkraftanlagen rund 80% des aktuellen Elektrizitätskonsums ausmachen könnten. Für die Schweiz berechneten die Forscher ein Potenzial von 10%. Doch Vorsicht ist geboten: Die Folgen solch massiver Veränderungen für die örtlichen Ökosysteme sind noch gänzlich ungeklärt. Die neu errichteten Talsperren vor den aktuellen Gletscherzungen würden zahlreiche technische, ökonomische und ökologische Hürden mit sich bringen. Das Forschungsteam warnt, dass die Stauseen lediglich einen kleinen Teil des gesamten Problems beheben würden. Einerseits müsste man das Wasser der einzelnen Alpengletscher auf irgendeine Weise zu einem der grossen bestehenden Dämme befördern. Andererseits deuten die Resultate der Studie darauf hin, dass die Staudämme nur etwa die Hälfte des gesamten Wasserverlustes aufhalten könnten. Weitere lokale Studien sind notwendig, um die genauen Risiken zu erfassen und alle Vor- und Nachteile abzuwägen.

Da die Wasserkraft in der Schweiz eigentlich bereits voll ausgebaut ist, gilt es abzuwägen, welche bestehenden Ökosysteme und Lebensräume mit dem Bau neuer Stauseen für immer verloren gehen würden. Sinnvoller und deutlich sicherer ist der gezielte Ausbau der anderen erneuerbaren Energieträger. Vorerst gilt es, den Klimawandel schnellstmöglich aufzuhalten und unsere unersetzbaren Gletscher zu schützen.