
Im April 2024 zerstörte eine Flutkatastrophe das Zuhause von Virginia Kamau (23) und ihrem Baby. Die Wellblechhütten im Slum Mathare in Nairobi, der Hauptstadt Kenias, wurden von den Wassermassen fortgerissen. Virginia Kamau, eine alleinerziehende Mutter, stand vor den Trümmern ihrer Existenz. Sie hatte sich während der Schwangerschaft entschieden, dass sie gemeinsam mit ihrem Kind einen eigenen Weg gehen will. Das ist nicht einfach, denn in Kenia sind Frauen gegenüber Männern wirtschaftlich stark benachteiligt.
Text: Fabienne Biedermann / Solafrica
Die Flut hat die schwierige Situation von Virginia Kamau noch verschlimmert: «Ich habe nicht genügend Geld, um mein Baby grosszuziehen», sagte sie verzweifelt. Einmal mehr trafen die Auswirkungen der Klimakrise die Ärmsten am härtesten – Menschen, die kaum zur Erderwärmung beigetragen haben.
Eine globale Herausforderung
Das Schicksal von Virginia Kamau steht sinnbildlich für eine weltweite Dynamik. Während der globale Norden jahrzehntelang von fossilen Energien profitierte und damit nicht nur wirtschaftliches Wachstum, sondern auch die Klimakrise vorantrieb, stehen viele Länder des globalen Südens vor einer doppelten Herausforderung: Rund 774 Millionen Menschen leben ohne Zugang zu Strom – eine Situation, die Bildung, Gesundheit, Gleichstellung, wirtschaftliche Entwicklung und Sicherheit erheblich beeinträchtigt. Gleichzeitig sind diese Regionen besonders stark von den Folgen der Klimakrise betroffen, obwohl sie kaum zu deren Entstehung beigetragen haben.
Fossile Energien einzusetzen, damit mehr Menschen Zugang zu Strom erhalten, heizt die Klimakrise weiter an, und die globalen Ungleichheiten verstärken sich. Der einzige Weg, diesen Zielkonflikt zu lösen, liegt in einem schnellen und umfassenden Ausbau erneuerbarer Energien. Und genau hier kommen Menschen wie Virginia Kamau ins Spiel.
Solarenergie als Lösung
Im Projekt «Solar Learning for Women» von Solafrica erhalten Frauen wie Virginia Kamau die Möglichkeit, sich in Theorie und Praxis der Solartechnologie sowie im Unternehmertum auszubilden. Bei erfolgreicher Abschlussprüfung erlangen die Frauen eine staatlich anerkannte Lizenz als Solarfachkraft. Innerhalb von drei Jahren werden dadurch in Kenia 300 Frauen zu Solartechnikerinnen ausgebildet. Für viele ist dies eine Chance, aus der Armutsspirale auszubrechen und den ersten Schritt in ein eigenständiges Leben zu machen.
Solafrica setzt mit ihren Projekten auf die Solarenergie, weil diese global das grösste Potenzial zur Energiegewinnung beinhaltet. Sie hat den grossen Vorteil, dass sie netzunabhängig und dezentral produziert werden kann. Insbesondere in weitläufigen ländlichen Regionen Afrikas stellt Solarenergie deshalb eine gute Alternative zum Ausbau des öffentlichen Stromnetzes dar, dessen Strom oft auf fossilen Energiequellen basiert. Zusätzlich wird mit Solarenergie lokale Wertschöpfung generiert, und es werden Arbeitsplätze geschaffen.
Ausbildung als Chance
Als die Flutkatastrophe Virginia Kamaus Zuhause dem Erdboden gleichmachte, war sie mitten in ihrer Ausbildung zur Solartechnikerin. Dank eines Spendenaufrufs in der Schweiz konnte Solafrica Nothilfe leisten – für sie und 20 weitere betroffene Teilnehmende der Solarprojekte in Nairobi. Virginia gab nicht auf und setzte ihre Ausbildung trotz der schwierigen Umstände unbeirrt fort: «Ich mag vor allem das praktische Training, denn ich liebe das Verkabeln. Ich fühle mich einfach gut dabei», erzählte sie mit einem Lächeln im Gesicht. Die langen, anstrengenden Tage waren für sie eine Herausforderung, doch ihre Entschlossenheit blieb ungebrochen.
Sonnige Zukunftsaussichten
Virginia Kamau hat die staatlichen Prüfungen im Sommer 2024 bestanden. Und nicht nur das: Nach ihrer Präsentation an der Abschlussfeier hat sie direkt ein Jobangebot einer Solarfirma erhalten. Als Solartechnikerin verdient sie nun genug Geld, um sich und ihrem Kind ein besseres Leben zu ermöglichen. Gleichzeitig glaubt sie fest daran, dass Solarenergie in der Zukunft Kenias eine grosse Rolle spielen wird. Denn die Sonne scheint zuverlässig, die Energie ist beständig und viel günstiger als der fossile Strom aus dem Netz.
Solafrica begleitet die Teilnehmerinnen auch über die Ausbildung hinaus. Dank Partnerschaften in der lokalen Solarbranche werden die Solartechnikerinnen nach der Ausbildung bei der Arbeitssuche unterstützt. Durch Mentoratsprogramme haben die Frauen die Möglichkeit, sich gezielt in einem Bereich ihrer Wahl weiterzubilden: Sie können ihre Kenntnisse in der Solartechnik vertiefen oder sich auf spezialisierte Anwendungen wie solare Bewässerungssysteme, Solartrocknung, den Einsatz von Solarmühlen oder die Nutzung von Solaröfen fokussieren.
Die Vision einer solaren Zukunft
Die Projekte von Solafrica sind darauf ausgelegt, die grenzenlos und frei verfügbare Kraft der Sonne gleich zweimal zu nutzen: Durch die Ausbildung von Solarfachkräften sowie den Bau gemeinnütziger Solaranlagen wird vielen Menschen der Ausstieg aus der Energiearmut ermöglicht, und gleichzeitig trägt die Verbreitung von Solarenergie dazu bei, den Planeten für künftige Generationen zu bewahren.
Virginia Kamau hat sich entschieden, zusammen mit ihrem Kind einen eigenen Weg zu gehen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Genau das hat sie erreicht. Die Geschichte der jungen Frau steht stellvertretend für unzählige weitere Geschichten. Allein im Sommer 2024 haben 148 Teilnehmende der Bildungsprojekte von Solafrica in Kenia die Abschlussprüfung bestanden und das staatlich anerkannte Zertifikat erhalten. Das gibt Hoffnung, denn die neue Generation von Solarfachkräften wird die Energiezukunft Kenias mitgestalten.