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Produktion läuft noch auf ganz kleiner Flamme

Europa setzt grosse Hoffnungen in grünen Wasserstoff als Energieträger der Zukunft und investiert Milliarden in die Technologie. Und in der Schweiz? H2 Energy setzte sich 2018 das Ziel, 1600 mit Wasserstoff betriebene Lastwagen auf die Strasse zu bringen – unterwegs sind heute 47. Auch auf der Seite der Produktion von grünem Wasserstoff in der Schweiz geht es nur langsam voran. Erste Anlagen wie in St. Gallen produzieren bereits. Und in Basel nimmt man nach einem gescheiterten Versuch 2021 jetzt einen neuen Anlauf.

Text: Beat Kohler

Wasserstoff als zusätzlicher Sekundärenergieträger der Energiewende?

Das Forum Energiespeicher Schweiz begleitet seit acht Jahren die technische und politische Entwicklung der Speichertechnologien für die Energiewende. Kurzfristig gilt es, Photovoltaik und Wasserkraft zu kombinieren. Im nächsten Schritt wird die sonst brachliegende Speicherkapazität von E-Fahrzeugen für die Kurzzeitspeicherung erhebliche Beiträge leisten. Mittel- und langfristig brauchen wir die Verschiebung der einmal reichlich verfügbaren Photovoltaik vom Tag in die Nacht sowie saisonal, um die Stromversorgung vom Dezember bis März sichern zu können. Hier bietet sich Wasserstoff als Sekundärenergieträger an.Es bleiben uns 10, maximal 15 Jahre um den Mix für diese kurzfristige und saisonale Speicherung festzulegen. Die für die Schweiz ideale Lösung wird keine Festlegung auf ein Speicherkonzept sein, sondern ein optimaler Mix verschiedener Massnahmen. Das umfasst die Verschiebung der Last von der Nacht in den Tag, die Nutzung von heute schon wirtschaftlichen saisonalen Wärmespeichern sowie eine Kombination von Power-to-X. Wasserstoff ist eine dieser Lösungen. Heute ist die Kette Solarstrom–Elektrolyse–Wasserstoff–Rückverstromung hinsichtlich des Wirkungsgrades geringer als 30% und wegen der Kosten wenig attraktiv. Man könnte diese Nachteile überwinden, um an sonnigen Standorten Wasserstoff zu produzieren und komprimiert zu speichern. Dann kann Wasserstoff für gewisse Anwendungsfälle – industrielle Prozesse, Güterverkehr und auch Luftverkehr – eine Rolle spielen. Die Produktions- und Lieferketten sind dafür nicht schweizerisch, sondern europäisch zu konzipieren. Ein Schweizer Alleingang beim Wasserstoff ist aus heutiger Sicht abwegig. Die Ansicht, Wasserstoff sei der Generalschlüssel für die Ablösung von fossilen Brenn- und Treibstoffen, teilt das Forum Energiespeicher Schweiz nicht. Wahrscheinlich wird H2 wie einst die Photovoltaik kurzfristig überschätzt, langfristig – in der richtigen Nische gedacht und angewendet – unterschätzt. Deshalb müssen wir in Pilotprojekten belastbare Erfahrungen für die Herstellung, Verteilung und Nutzung sammeln. Die Schweiz sollte sich an der Skalierung dieser Anwendungen beteiligen. Und die schweizerische Gasindustrie muss prüfen, wie weit das vorhandene Erdgasnetz als Verteilsystem für Wasserstoff genutzt werden kann.
Thomas Nordmann, Forum Energiespeicher Schweiz

Als IWB und die Fritz Meyer AG 2021 ein Baugesuch für eine Wasserstoffproduktions-Anlage beim Kraftwerk Birsfelden einreichten, gehörten sie zu den Ersten in der Schweiz. Doch das Ansinnen stiess auf Widerstand. Die Standortgemeinde Birsfelden erhob Einsprache. Der Gemeinderat zweifelte an der Zonen­konformität, obwohl die Anlage in der Spezialzone ­Kraftwerk für «Bauten und Anlagen im Zusammenhang mit der öffentlichen Energiewirtschaft» vorgesehen war. Der Gemeinderat wollte zudem Klarheit, ob es sich bei der geplanten Anlage um einen Betrieb handelt, welcher der Störfall­verordnung unterliegt. Das Bauinspektorat lehnte das Baugesuch schliesslich ab, und die Baurekurskommission des Kantons Baselland bestätigte, dass die Anlage nicht zonenkonform sei. Anfang Juni dieses Jahres haben IWB und die Fritz Meyer AG einen neuen Anlauf genommen und planen die Anlage jetzt im Hafen Birsfelden. Sie soll deutlich leistungs­stärker werden als die ursprünglich beim Kraftwerk Birsfelden geplante Pilotanlage. Die Anlage soll dereinst eine Leistung von 15 MW haben und damit rund 1500 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr produzieren. Damit wäre sie eine der grössten Anlagen für die Produktion von grünem Wasserstoff in der Schweiz. Der Strom für die Herstellung des Wasserstoffs soll nach wie vor direkt aus dem Kraftwerk Birsfelden kommen. Dafür plant das Joint Venture der beiden Firmen greenH2 AG eine direkte Stromleitung zwischen Produktionsanlage und Kraftwerk.

In St. Gallen ist die Produktion bereits langsam angelaufen

Andernorts ist man schon weiter und hat bereits Anlagen in Betrieb genommen. Eines dieser Pionierprojekte steht im St. Galler Kubel und hat am 17. November 2022 die Produktion von grünem Wasserstoff aufgenommen. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der SAK (St. Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG), der Osterwalder Gruppe und der SN Erneuerbare Energie AG (SNEE), die ihre Kräfte und ihr Know-how im Joint Venture Wasserstoffproduktion Ostschweiz AG (WPO) bündeln. Mit der Produktion soll grüner Wasserstoff als erneuerbare und saubere Energie für die Elektromobilität und für die Dekarbonisierung des Strassenverkehrs angeboten werden. Die Bauzeit der Anlage betrug 14 Monate. «Sonne, Wind und Wasser liefern erneuerbare Energien im Überfluss, aber quasi als ‹Frischprodukt›, das man zwischenspeichern muss. Mit der Nutzung und dem Ausbau der erneuerbaren Energien, wie sie in St. Gallen als Schwerpunktplanung für die Jahre 2021 bis 2031 verankert sind, sind wir auch auf die Möglichkeit der Lagerung und der Verteilung der Energie angewiesen», hielt Susanne Hartmann, Regierungsrätin, Vor­steherin des Baudepartementes Kanton St. Gallen und Verwaltungsrätin der SAK bei der Eröffnung der Anlage fest. Die SAK als Betreiberin des ältesten Wasserspeicherkraftwerks der Schweiz im St. Galler Kubel setze mit der Inbetriebnahme der Wasserstoffproduktion ein wichtiges Zeichen für die Energiewende. Die Elektro­lyse­anlage im Kubel verfügt über eine Produktionsrate von 36 kg Wasserstoff pro Stunde und eine elektrische Leistung von 2 MW. Je nachdem wie viel Strom für die H2-Produktion zur Verfügung steht, sollen jährlich rund 250 Tonnen grüner Wasserstoff produziert werden. Nach gut einem halben Jahr Wasserstoffproduktion zeigen sich die Verantwortlichen zufrieden mit der Anlage, obwohl man noch weit von den Produktionszielen entfernt ist. Die Anlage funktioniere technisch gut. «Da wir aber noch nicht offiziell in der Inbetriebnahmephase sind, läuft die Anlage noch nicht 24 Stunden am Tag. Bis dato haben wir über sechs Tonnen Wasserstoff produziert», erklärt die Medienstelle der SAK auf Anfrage. Die grösste Herausforderung sei, dass der Prozess für die Gesamtzertifizierung der Anlage lange dauere. Dabei müssten die Zertifizierungen der einzelnen Komponenten vorliegen. Schlussendlich könnte die Anlage auch skaliert werden, aber nicht am Standort Kubel, da die Platzverhältnisse dort eingeschränkt sind.

Wasserstoff vor allem für den Schwerverkehr

In der Schweiz entsteht seit rund drei Jahren unterstützt vom Förderverein H2 Mobilität und vom Unternehmen H2 Energy ein Wasserstoff-Ökosystem, mit dem Ziel, die Wasserstoff-Elektromobilität und damit auch die Dekarbonisierung des Stras­senverkehrs von der Quelle bis zum Verbraucher konkret umzusetzen – von der Produktion über die Tankstellen bis zu den Personenwagen und schweren Lkw, die bereits heute auf den Schweizer Stras­sen unterwegs sind. Der Verein der H2-Produzenten Schweiz weist auf seiner Website aktuell zwölf Standorte aus, an denen Anlagen stehen oder geplant sind. So wird auch der im Kubel produzierte grüne Wasserstoff direkt für Fahrzeuge mit Brennstoffzellenantrieb eingesetzt. Wie zuverlässig letztere in der Schweiz unterwegs seien, beweise Hyundai Hydrogen Mobility (HHM) mit den 47 Anhängerzügen, die in Betrieb seien, und mit den mehr als fünf Millionen Kilometern, die diese in den vergangenen zwei Jahren zurückgelegt hätten, schreibt die SAK. «Das Kraftwerk im Kubel ermöglicht den weiteren Ausbau des Schweizer Wasserstoff-Ökosystems mit einem lokalen und sehr effizienten Kreislauf. Den grünen Wasserstoff transportieren wir mit einem Containersystem ‹made in Switzerland› zu den beiden AVIA-Wasserstoff-Tankstellen in St. Gallen und Gossau, wo die Wasserstoff-Fahrzeuge tanken», erklärte Martin Osterwalder, CEO der Wasserstoffproduktion Ostschweiz AG und Co-CEO der Osterwalder Gruppe bei der Eröffnung. Auch IWB arbeitet mit der Fritz Meyer AG mit einem Treibstofflieferanten zusammen. Der in Birsfelden produzierte grüne Wasserstoff soll denn auch als Treibstoff für Lastwagen, Busse und Schiffe zum Einsatz kommen. «Der Wasserstoff dieser Anlage soll vornehmlich in der Mobilität und in der Industrie eingesetzt werden. Für den Einsatz in der Mobilität und in der Industrie sind wir mit zahlreichen regionalen Logistik- und Industrieunternehmen im Gespräch. Auch die Betankung von Rheinschiffen mit Wasserstoff als Ersatz von Schiffsdiesel ist vorgesehen», so Mediensprecherin Jasmin Gianferrari.

Wasserstoff als Energiespeicher?

Die grosse Bedeutung von Energiespeichern für eine erneuerbare und wirtschaftliche Energieversorgung ist unbestritten. Welche Speichertechnologien für welche Anwendungen zum Einsatz kommen sollen und welche Rolle Wasserstoff für die Energiewende generell und als Energiespeicher im Speziellen spielt, diskutierten Expertinnen und Experten Ende Juni an einem runden Tisch des Forums Energiespeicher Schweiz in Bern. «Für die Energiewende ist das Zusammenspiel verschiedener Technologien und saisonaler Energiespeicher zentral», zu diesem Fazit kam Gianfranco Guidati, stellvertretender Direktor am Energy Science Center der ETH Zürich. Auch bei IWB und SAK sieht man für die fernere Zukunft solche Anwendungen als machbar. «Auf jeden Fall wird Wasserstoff nicht nur in der Mobilität verwendet», erklärt die SAK auf Anfrage. Nebst der Substitution von Gas in industriellen Prozessen und von Öl und Gas im Gebäudepark habe auch Power-to-Gas für die Nutzung von Wasserstoff als speicherbarem Energieträger für Energieverschiebungen zwischen verschiedenen Zeiten grosses Potenzial. «Die Speicherung von Energie aus erneuerbarer Produktion ist ein weiterer wichtiger Vorteil von grünem Wasserstoff, der in Zukunft eine Rolle spielen wird. Dafür muss die erneuer­bare Stromproduktion in der Schweiz weiter ausgebaut werden», heisst es bei IWB, wo man sich auf diesen Ausbau fokussiert und bis 2030 eine eigene PV-Produktions-Kapazität von mindestens 100 MW Leistung schaffen und damit die Solarstromproduktion verzehnfachen will. Damit werde IWB jährlich etwa 120 bis 140 GWh Solarstrom in der Schweiz produzieren. Das entspreche rund 20% der für die Grundversorgung von Basel-Stadt benötigten Strommenge.

Wichtige Anbindung ans europäische Netz

Beim runden Tisch des Forums Energiespeicher Schweiz betonten verschiedene Experten, dass ein schweizerischer Alleingang beim Wasserstoff nicht sinnvoll sei. «Eine optimale Netto-null-Strategie der Schweiz muss auch den Austausch von Energie mit unseren Nachbarn berücksichtigen», so Guidati. Wie wichtig die Anbindung an das europäische Energiesystem ist, betonte auch Daniela Decurtins, Direktorin des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie (VSG): «Das ungeklärte institutionelle Verhältnis mit der EU schafft auch im Gasbereich Unsicherheiten.» Die Schweiz müsse unbedingt sicherstellen, dass sie mit der europäischen Energieinfrastruktur verbunden bleibe. Das sieht man auch bei IWB so, zumal das geplante europäische Wasserstoffnetz bis in die Grenzregion nahe Basel reichen soll. Indem die Leitungen einige Kilometer weitergezogen werden, könnte auch die Region Basel davon profitieren. Die Region Basel sei prädestiniert, die zentrale Schweizer Drehscheibe für grünen Wasserstoff zu werden. Deshalb hat IWB im Raum Basel mit Partnern den «H2-Hub Schweiz» gegründet. Dieses Gremium soll die Produktion und Anwendung von grünem Wasserstoff in der Region fördern. «Dabei spielen auch zukünftige grenzüberschreitende Korridore per Leitung und Schiff eine wichtige Rolle. Diese Korridore für den Import von Wasserstoff beziehungsweise für die Versorgung der EU mit Wasserstoff sind für die Schweiz sehr wichtig», erklärt IWB-Mediensprecherin Jasmin Gianferrari. Leider sei der Anschluss der Schweiz heute noch sehr unkonkret und wenn überhaupt erst sehr spät vorgesehen. Es geht in kleinen Schritten vorwärtsDer Anschluss ans europäische Netz liegt für Basel und die Schweiz also noch im Ungewissen. Und auch bei den Schweizer Projekten für den Ausbau der Produktion bestehen grosse Unsicherheiten. Vor zwei Jahren forderte ein Vorstoss im Kanton Bern die Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen für den Bau von Wasserstoffproduktions-Anlagen. Verschiedene Hochschulen haben sich nun interkantonal mit der Frage beschäftigt, und die Resultate sollen in diesen Wochen vorgelegt werden. Die Mühlen der Gesetzgeber mahlen also langsam. So oder so wird IWB aber in den nächsten Wochen ein Baugesuch für die ganze Anlage in Birsfelden einreichen, damit diese ab Anfang 2026 grünen Wasserstoff produzieren kann. Bei IWB ist man zuversichtlich, dass das Gesuch gute Chancen hat. «Der Widerstand gegen die auf der Kraftwerksinsel geplante, wesentlich kleinere Pilotanlage konzentrierte sich insbesondere auf den Standort und richtete sich nicht gegen das Vorhaben der Produktion von grünem Wasserstoff in der Region. In der öffentlichen Diskussion wurde mehrfach ge­äus­sert, dass eine Anlage in einer Industriezone begrüsst werden würde. Diesem Wunsch wollen IWB und die Fritz Meyer AG mit dem neuen Projekt Rechnung tragen», erklärt Mediensprecherin Jasmin Gian­ferrari auf Anfrage.

www.h2produzenten.ch