Die Versuchsanlage in Davos-Totalp soll zeigen, wie PV-Anlagen im Gebirge den grösstmöglichen Stromertrag liefern. Für Jürg Rohrer, Leitung Forschungsgruppe Erneuerbare Energien an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) sind grossflächige alpine Anlagen unvermeidlich, abhängig davon, wie gut es gelingt, das Potenzial auf Dächern und Fassaden zur Stromproduktion zu nutzen.
Text: Jürg Rohrer, Leitung Forschungsgruppe Erneuerbare Energien ZHAW
Fossile Energien verursachen zirka 75 der Treibhausgasemissionen der Schweiz im Inland. Deshalb ist eine rasche Dekarbonisierung des Energiesystems, das heisst ein Übergang zu erneuerbaren Energien unumgänglich. Wenn die Schweiz den effizientesten Weg zur Dekarbonisierung wählt, dann bedeutet dies unter anderem, die Wärmeversorgung der weitaus meisten Gebäude auf Wärmepumpen umzustellen und die Umstellung der Autos, Liefer- und Lastwagen auf Elektromobilität. Dies wird zu einer Erhöhung des Strombedarfs in der Schweiz führen. Die neusten Energieperspektiven 2050+ des Bundes gehen von einer Zunahme um 25 gegenüber heute bis ins Jahr 2050 aus. Andere Einschätzungen (auch meine eigene) sind wesentlich höher und liegen bei 50 Zunahme des Strombedarfs.
In absehbarer Zeit werden zudem die Schweizer Atomkraftwerke ausser Betrieb gehen, sodass auch dieser Drittel der Schweizer Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen bezogen werden muss. Woher soll der zusätzliche Strom kommen?
Heute exportiert die Schweiz im Sommer Strom und importiert im Winter etwa dieselbe Menge, sodass eine ausgeglichene Jahresbilanz entsteht. Da auch die Nachbarländer ihr Energiesystem dekarbonisieren müssen, wird auch dort der Strombedarf in Zukunft wachsen. Die Importmöglichkeiten werden dadurch wesentlich unsicherer. Für die Versorgungssicherheit ergibt der Ausbau der Stromproduktion in der Schweiz deshalb Sinn. Dies schafft zudem Arbeitsplätze im Inland.
Potenzial auf Dächern und Fassaden
Das mit Abstand grösste Potenzial besteht auf Dachflächen und Fassaden von Gebäuden. Zusammen mit den bescheideneren Ausbaupotenzialen von Windkraft, Wasserkraft usw. könnte Photovoltaik (PV) den prognostizierten Strombedarf des Jahres 2050 decken. Es gibt aber zwei Probleme: Erstens kommt die Umsetzung des Potenzials bei Photovoltaik und Windkraft nicht so recht voran. Der WWF Schweiz hat zum Beispiel ausgerechnet, dass es 262 Jahre dauern würde, bis das PV-Potenzial auf Dachflächen ausgeschöpft wäre, wenn wir im gleichen Tempo wie bisher weiterfahren. Eigentlich sollte die Schweiz aber bereits im Jahr 2030 klimaneutral sein, das heisst, wir sollten um viele Faktoren rascher PV-Anlagen zubauen.
Das zweite Problem ist die Stromproduktion im Winter: Sowohl PV als auch Wasserkraft liefern im Sommer etwa drei Viertel der Stromproduktion. Abhelfen könnte ein Ausbau der Windkraft, die zwei Drittel des Stroms im Winter produziert, und der Bau von PV-Anlagen in den Alpen, welche die Hälfte des Stroms im Winter erzeugen. Dazu kommen saisonale Speicher, die den Strom vom Sommer in den Winter verschieben können.
Bessere Winterproduktion in den Alpen
Mit der PV-Versuchsanlage auf der Totalp in Davos auf 2500 Metern über Meer untersucht die Forschungsgruppe Erneuerbare Energien der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zusammen mit der ETH Lausanne, dem Schweizerischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) und den EKZ die Stromproduktion von Photovoltaikanlagen in den Alpen. Jeweils drei bis vier Module sind auf der Versuchsanlage auf einer Art Klappe angeordnet, deren Anstellwinkel eingestellt werden kann. Die beiden Klappen ganz rechts sind zum Beispiel senkrecht angeordnet, die beiden mittleren Klappen haben einen Anstellwinkel von 70 Grad gegenüber der Horizontalen. Die PV-Module bestehen einerseits aus klassischen Standardmodulen (monofazial), wie sie auf Gebäudedächern eingesetzt werden, und andererseits aus bifazialen Modulen, welche die Einstrahlung von vorne und von hinten in Strom umwandeln können.
Die Grafik zeigt die Erträge der Module auf den verschiedenen Klappen in den Jahren 2018 bis 2020. Ganz rechts ist in grauer Farbe der Ertrag einer PV-Anlage in Wädenswil als typische Anlage im Mittelland aufgezeigt. Die 70 Grad angestellten, bifazialen Module der Versuchsanlage erzeugten den höchsten Jahresertrag und auch den höchsten Winterertrag (unterer Teil der Balken, jeweils dunkel dargestellt). Der Jahresertrag dieser Module ist mehr als doppelt so hoch wie in Wädenswil und der Ertrag im Winterhalbjahr ist mehr als viermal so hoch wie in der typischen PV-Anlage im Mittelland. Der doppelte Jahresertrag gegenüber dem Mittelland und der Winterstromanteil von etwa 50 machen PV-Anlagen in den Alpen sehr attraktiv für die Stromversorgung der Zukunft.
PV in den Alpen als Ausweichmöglichkeit
Natürlich sollte man primär die Dächer mit PV-Anlagen ausrüsten. Alle geeigneten Dächer in der Schweiz ergeben zusammen eine PV-Fläche von 230 bis 260 km2. Darauf liessen sich etwa zwei Drittel des heutigen Strombedarfs produzieren. Wenn wir als Gesellschaft aber nicht bereit sind, den Bau von PV-Anlagen auf Dächern und Fassaden mit entsprechenden Massnahmen konsequent durchzusetzen, werden wir letztendlich auf anderen Flächen PV-Anlagen bauen müssen. In den Alpen ist dafür nur eine halb so grosse Fläche notwendig, und der Bedarf an saisonalen Speichern wird reduziert. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass wir von Quadratkilometern PV-Fläche (siehe oben) und nicht nur von ein paar einzelnen Panels an einer Berghütte reden.
Es bleibt zu hoffen, dass wir möglichst wenig Landschaft für die Energiewende opfern müssen. Dies hängt stark davon ab, wie effizient wir mit Energie in Zukunft umgehen werden und inwiefern wir die Dächer und Fassaden zur Stromproduktion nutzen. Mit der Forschung an der Versuchsanlage in Davos-Totalp wollen wir einen Beitrag leisten, dass PV-Anlagen im Gebirge einerseits den grösstmöglichen Stromertrag liefern und andererseits die negativen Effekte minimiert werden können.