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Nicht alle werden bis Ende 2025 ins Ziel ­kommen

Forschungsresultate zeigen seit längerer Zeit, dass Photo­voltaikanlagen im alpinen Raum nicht nur insgesamt mehr Ertrag, sondern wegen der besseren Einstrahlung und der kühlen Temperaturen auch mehr Winterertrag ermöglichen. Unter dem Eindruck einer sich ankündigenden Energieknappheit wollte das Parlament den Bau solcher Anlagen auf Freiflächen in den Alpen ermöglichen. Dieser Solarexpress hat mit verschiedenen Projekten Fahrt aufgenommen, könnte aber wegen verschiedener Hindernisse dennoch in vielen Fällen bis Ende 2025 auf dem Abstellgleis landen.

Text: Beat Kohler

«Was können wir als Gesetzgeber aber kurzfristig überhaupt tun? Die Antwort der UREK-S ist klar: eine Solarenergieproduktion im grossen Stil für das Winterhalbjahr in der Schweiz», erklärte der Walliser Mitte-Ständerat Beat Rieder im September des vergangenen Jahres in der Debatte zum indirekten Gegenentwurf zur Gletscher-Initiative. Ursprung der Debatte war aber nicht der indirekte Gegenvorschlag, über den wir am 18. Juni abgestimmt haben, sondern eine befürchtete Strommangellage im vergangenen Winter aufgrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine.

In den kommenden Jahren werde man keine Alternativen zu rasch gebauten alpinen Solaranlagen haben, um die inländische Stromproduktion so zu steigern, dass eine allfällige Mangellage ausgeglichen werden könne, erklärte Rieder: «Wir können jeden einzelnen anderen Stromproduktionsbereich mit­einander durchdiskutieren – Sie finden keine andere Lösung.» Um möglichst rasch zu einem Beschluss zu kommen, hängte die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerates (UREK-S) ihren Vorstoss für einen Solarausbau in den Alpen an den Gegenvorschlag, der sofort behandelt wurde. In beiden Räten fand das Vorgehen unter dem Eindruck der sich überlagernden Krisen Zustimmung.

Bei einzelnen Ratsmitgliedern war allerdings angesichts der Hauruckübung eine gewisse Frustration zu spüren. «Wir haben 2012 mit einem Postulat verlangt, der Bundesrat solle doch in einer Studie das Potenzial und die Kosten von alpinen Solaranlagen für die Winterstromproduktion besser untersuchen. Damals sagte der Bundesrat, das sei nicht notwendig, alpinen Solarstrom brauche es nicht, das sei eh nicht rentabel, und lehnte das Postulat entsprechend ab», beklagte beispielsweise der Grüne-Nationalrat Bastien Girod frühere Versäumnisse. Trotz der Kritik: Am Schluss stimmten beide Räte in einem sehr unschweizerisch hohen Tempo dem Solarexpress zu.

Die Vorteile alpiner Photovoltaik sind bekannt

Dass in den Bergen mehr Solarstrom produziert werden kann als im Mittelland, ist keine neue Erkenntnis. Wegen des Umbaus am Schilthorn musste zwar die 1993 ans Netz angeschlossene Fassadensolaranlage auf der Mittelstation Birg dieses Jahr rückgebaut werden. Sie hat aber schon lange klargemacht, dass auf dieser Höhe nicht nur insgesamt mehr Strom produziert werden kann. Dank der senkrechten Aufständerung hat die Anlage ihre Produktionsspitzen zudem im Frühling und im Herbst. Im Winter produzierte die Anlage etwa gleich viele kWh Strom wie eine konventionelle Anlage auf der gleichen Fläche in Südspanien im Sommer. Insbesondere die Reflexion des Lichts durch Schnee und Eis steigert den Ertrag. Dazu kommt, dass Solarzellen bei Kälte einen besseren Wirkungsgrad haben. Das visionäre Pilotprojekt erlaubte der Fachhochschule Burgdorf, über 24 Jahre ein Monitoring durchzuführen, das diese Resultate festhielt.

Seit 2017 erforscht die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zusammen mit der ETH Lausanne, dem Schweizerischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) und den EKZ mit der alpinen Versuchsanlage in Davos-Totalp auf 2500 Metern über Meer systematisch die Stromproduktion von Photovol­taikanlagen in den Alpen. Die Versuchsanlage ist nach Süden ausgerichtet und besteht aus sechs individuell in der Neigung einstellbaren Klappen. Auf jeder dieser Klappen können bis zu vier Standardmodule befestigt werden. Die Einstrahlung wird jeweils auf allen Modul­ebenen sowie auch in Ost-/West-Ausrichtung gemessen. Die Resultate unterstreichen, was bereits das Monitoring der Anlage auf der Birg gezeigt hat. Dank einer generell hohen solaren Einstrahlung, wenig Hochnebel, Reflexionen an der Schneeoberfläche und tiefen Temperaturen lässt sich im Gebirge auch im Winter viel Strom erzeugen.

Gemäss den Forschern der ZHAW gilt als grobe Faustregel, dass im Winter im Mittelland etwa 25 % des Jahresertrages und in den Alpen etwa 50 % des Jahresertrages anfallen. Da der Jahresertrag im alpinen Raum typischerweise um den Faktor 1,5 bis 2 höher ausfalle als im Mittelland, werde in den Alpen also etwa drei- bis viermal so viel Winterstrom pro Fläche erzeugt wie im Mittelland. Sowohl bezüglich Winterstrom und spezifischer Energieproduktion als auch aus wirtschaftlicher Sicht seien alpine Anlagen attraktiv. «Wir haben leider die Energiewende komplett verschlafen und müssen nun die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen so rasch wie nur möglich ausbauen. Dabei helfen Grossanlagen, weil sie effizienter gebaut werden können. Alpine Anlagen liefern gleichzeitig etwa die Hälfte des Ertrages im Winter, sodass sie auch zur Lösung des Winterstromdefizits beitragen. Sie können dann Strom liefern, wenn wir ihn am meisten nötig haben», erklärt Jürg Rohrer, Dozent für erneuerbare Energien und Energieeffizienz an der ZHAW.

Der Flächenbedarf hält sich in Grenzen

Die ZHAW hat sich auch die Frage gestellt, wie viel Fläche im hochalpinen Raum für Solaranlagen beansprucht werden müsste, um die Stromversorgung in der Schweiz sicherzustellen. Dieser Bedarf hänge vom gewünschten Selbstversorgungsgrad und von der Effizienz des Ge­samt­energiesystems der Schweiz ab. Für die Forscher ist die Fläche auch direkt davon abhängig, wie das PV-Potenzial auf Gebäuden und anderen Infrastrukturen ausgenutzt wird, wie viel Wind zugebaut wird und ob die in der Schweiz sehr tiefe Sanierungsrate der Gebäude erhöht werden kann. Auch die Ausschöpfung der Effizienz- und Suffizienzpotenziale, die Importmöglichkeiten von Strom aus dem Ausland im Winter sowie Grösse und Art der saisonalen Energiespeicher spielten eine Rolle.

Schlussendlich nennt Rohrer eine Grössenordnung von 5 bis 10 TWh alpiner Photovoltaik pro Jahr – also bis zu fünfmal so viel, wie der Bund jetzt mit seiner Gesetzgebung anstrebt. Die Fläche, die für diese Produktion benötigt würde, sei stark von der Steilheit des alpinen Geländes abhängig: In flachem Gelände müssen zwischen den einzelnen Modulreihen wegen der gegenseitigen Verschattung grössere Abstände vorgesehen werden als im steilen Gelände. Bei durchschnittlich 100 MW pro km2 und einem Flächenertrag von 160 GWh pro km2 pro Jahr würde sich gemäss der ZHAW bei 5 TWh pro Jahr ein Flächenbedarf von rund 30 km2 ergeben. Dies in einem Raum mit vegetationslosen Flächen von 4635 km2, unproduktiver Vegetation von 2915 km2 und Alpwirtschaftsflächen von 5033 km2.

Trotz dem relativ geringen Flächenanteil plädieren die Forscher dafür, die Standorte für alpine PV-Anlagen sorgfältig auszuwählen und beim Bau und Betrieb unter anderem auf die Erhaltung der Biodiversität, auf die Rückbaubarkeit und auf einen sorgfältigen Einsatz aller Ressourcen zu achten. «Das Bauen im Gebirge ist heikel und kann Schäden an der Natur verursachen, die nur langsam heilen. Deshalb ist bei der Planung und dem Bau grosse Sorgfalt erforderlich. Wie bei fast allen grossen Infrastrukturbauten verändern alpine PV-Anlagen die Landschaft auch visuell. Daher hilft eine geschickte Standortwahl und eine sorgfältige Einbettung ins Gelände», erklärt Jürg Rohrer. Deshalb bietet die ZHAW auch eine umfassende wissenschaftliche Begleitung von alpinen Solarprojekten an. Dabei geht es auch um eine wissenschaftliche Begleitung für die Bereiche Treibhausgasemissionen, Vegetation, wirbellose Tiere (Tagfalter und Heuschrecken), Landschaft, Tourismus, Wildtiere, Bodenqualität sowie Mikroklima. Dabei wird in der Regel der Zustand vor dem Bau aufgenommen, und danach werden die Auswirkungen der PV-Anlage über mehrere Jahre untersucht und wo möglich optimiert.

Vielfältige Hürden für die einzelnen Projekte

Inwieweit sich die Projektträger an die Wünsche aus der Forschung halten werden, ist angesichts der Goldgräberstimmung, die seit letztem September herrscht, offen. Schnell machten Vorschläge die Runde, alpine PV-Anlagen im herrenlosen Land in den Hochalpen zu bauen – fernab von der nächsten Strassenerschliessung oder dem nächsten Netzanschluss. Das wäre möglich, da zur Beschleunigung im Turbobeschluss auf eine Richtplanung für die Anlagen verzichtet wurde. Einzig die Grundeigentümer und die Standortgemeinden müssen dem Projekt zustimmen. Deshalb dürfte der Blick rasch auf das herrenlose Land gefallen sein, auch wenn ein Bau dort exorbitant teurer würde. Schwierig wäre zudem der rückstandslose Rückbau, der aber gemäss dem neuen Gesetz garantiert sein muss.

Weitere Eckpunkte des Turbobeschlusses waren von Beginn an klar und nicht zufällig auf bereits bestehende Projekte im Wallis ausgerichtet. Diese Punkte sind in der Debatte grösstenteils erhalten geblieben. Die Anlagen müssen eine Mindestgrösse aufweisen. Schlussendlich wurde diese mit einer Mindestjahresproduktion von 10 GWh definiert. Da es im Kern um Winterstrom geht, müssen die Anlagen mindestens 500 kWh pro kWp im Winterhalbjahr erzeugen. Das ist eigentlich nur erreichbar bei der Einstrahlung im alpinen Raum mit der Rückstrahlung durch den Schnee. «Nach oben limitieren wir das Ganze auf eine Produktion von 2 TWh, was exakt der vom Bundesrat geschätzten Lücke im Winterhalbjahr entspricht», erklärte Rieder in der ersten Debatte im Ständerat. Dabei ist es geblieben. Geblieben ist auch der hohe Zeitdruck. Die Anlagen sollen bis Ende 2025 zumindest zum Teil schon am Netz sein. Sonst würden sie ja kurzfristig nichts ändern an einer allfälligen Mangellage im Winterhalbjahr. 10 % der geplanten Anlage müssen also bis Ende 2025 Strom ins Netz einspeisen, und bis Ende 2028 sollen die Anlagen gemäss Gesetz gebaut sein. Bereits bis zur Veröffentlichung der Verordnung diesen April hat sich aber offensichtlich gezeigt, dass der gesetzte Zeitrahmen zu eng war, und die Limite für die Fertigstellung wurde auf Ende 2030 nach hinten verschoben. Das ist ein Indiz dafür, dass ein Expressverfahren in der Umsetzung seine Tücken hat.

Offen beklagt wird an verschiedenen Standorten die mangelnde Netzkapazität. Diese ist für den Transport des Stromes ins Mittelland zu den Verbrauchern notwendig. Die Verfahren zum Ausbau der Netzkapazitäten wurden vom Bundesparlament nicht angepasst, was zu Verzögerungen führen dürfte. Weitere Indizien für bestehende Hürden sind die Bemühungen der Kantone. Das Walliser Kantonsparlament hat per Dekret beschlossen, dass neu der Staatsrat die Kompetenz erhält, über die Projekte zu entscheiden. Dagegen haben die Walliser Grünen das Referendum ergriffen. Inzwischen hat der Kanton Bern eine Einführungsverordnung beschlossen, um die Verfahren weiter zu beschleunigen. Der Regierungsrat hat diese für prioritär erklärt. Die verwaltungsinterne Beschwerdeinstanz soll wegfallen, und Beschwerden müssen direkt beim Verwaltungsgericht erhoben werden. Trotzdem kann schon eine einzelne Beschwerde dafür sorgen, dass ein Projekt über 2025 hinaus verzögert wird. Pro Natura Berner Oberland hat bereits im Februar angekündigt, gegen alle alpinen Freiflächen-Solaranlagen anzutreten.

Dass die Umsetzung der Ideen des Gesetzgebers nicht ganz so einfach ist, zeigt sich auch an den Projektideen in Grengiols. In der ersten Euphorie wurden die Grösse und der Ertrag einiger Projekte offensichtlich überschätzt. So haben die Verantwortlichen ihr Projekt laufend redimensioniert. Dies sei dem im nationalen Gesetz festgehaltenen Zeitdruck geschuldet. Auf Kritik stossen diese Ankündigungen bei Jürg Rohrer: «Mir fehlt bei vielen Stromversorgern die notwendige Flexibilität, um aktuelle Geschäftsmodelle zu überdenken oder Planungsprozesse zu beschleunigen. Alles soll genau so weitergehen wie bisher, und quasi ‹on top› soll noch der Strom aus alpinen Grossanlagen ins Mittelland geführt werden. Hier fehlt es sehr oft am Bewusstsein für die Dringlichkeit der Energiewende!» Unabhängig davon, wer nun den Prozess hemmt, kann es gut sein, dass der Solarexpress Ende 2025 auf dem Abstellgleis steht und kaum zusätzlicher Winterstrom von den Bergen in die Haushalte im Mittelland fliesst.

www.zhaw.ch/iunr/erneuerbareenergien