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NETZANSCHLÜSSE

Wenn das Netz ausgebaut werden muss, dann warten PV-Anlagen-Betreibende unter Umständen sehr lange auf einen Anschluss.

Mit dem massiven Zubau von Solaranlagen in den letzten zwei Jahren sind die Netzbetreiber unter Druck gekommen. Sie können sowohl die Flut der technischen Anschlussgesuche als auch den notwendigen Netz- ausbau längst nicht mehr in jedem Fall zeitnah bewältigen. Das gilt vor allem für die grösste Verteilnetzbetreiberin der Schweiz, die BKW, die 22 000 Kilometer Leitungen von der französischen Grenze über den Jura nach Solothurn und den Oberaargau bis ins Berner Oberland betreibt. Das führt zu Unzufriedenheit bei Kunden.

KEIN ANSCHLUSS UNTER DIESEM KABEL?

Text: Beat Kohler

Im Moment scheint der Engpass beim Ausbau der Solarenergie nicht bei der Verfügbarkeit der Materialien, ja nicht einmal bei den mangelnden Fachkräften für den Ausbau zu liegen. Zumindest könnte dieser Eindruck nach einer Debatte im Berner Kantonsparlament, dem Gros­sen Rat, entstehen. Dort forderte ein Vor­stoss, dass der Regierungsrat im Rahmen seiner Möglichkeiten günstige Vorausset­zungen für einen allenfalls notwendigen Netzausbau fördern soll, damit der Photo­voltaikausbau zügig vorangehen kann. Verschiedene Sprecher erklärten an die Adresse der BKW, dass die Wartezeiten so­ wohl für technische Anschlussgesuche (TAG) als auch für Netzverstärkungen viel zu lang seien. Der Bau von Photovoltaik­ anlagen werde blockiert, weil keine Antworten seitens des Netzbetreibers vorlä­gen – es gebe regelmässig Wartezeiten zwischen drei und sechs Monaten, bis ein TAG bearbeitet sei. «Ich plane im Moment eine 1­MW­Anlage. Das Geld ist da, der Wille des Dachbesitzers auch. Es ist alles da, aber wir warten seit sechs Monaten auf das technische Anschlussgesuch der BKW», erklärte beispielsweise Grossrat Roland Lüthi, GLP. Die Wartezeiten halten Projekte auf, weil in dieser Zeit Material nicht bestellt werden kann und auch die Arbeiten nicht auf die anderen Gewerke abgestimmt werden können.

PROBLEME AUCH BEI ANDEREN VERSORGERN

Das Problem scheint nicht nur im Versor­gungsgebiet der BKW zu bestehen. Im Ap­ril dieses Jahres erklärte beispielsweise Marcel Schmid, Sprecher bei CKW, gegen­über dem «Blick»: «Es kann in einzelnen Fällen bis zu zwei Jahre dauern, bis eine Solaranlage mit der vollen Leistung ans Netz angeschlossen werden kann.» Das habe damit zu tun, dass die Standortsuche und die Bewilligungsverfahren bei der Er­stellung von Trafostationen und Strom­leitungen sehr aufwendig seien. Auch die Elektrizitätswerke Zürich (EKZ) räumten ein, dass es lange Wartezeiten geben könne, relativierten aber gleichzeitig: «Die Wartefristen werden immer kürzer – kein Vergleich zum Solarboom­Jahr 2022.» Im letzten Jahr schloss EKZ über 2000 neue Solaranlagen von Privatpersonen und In­dustriekunden ans EKZ­Netz. Um nachzu­ kommen, müssten die Netzbetreiber viel Aufwand betreiben. Der Netzunterhalt und ­ausbau verschlinge allein bei EKZ rund zwei Millionen Franken – pro Wo­che. Dass der Umbau des Stromnetzes von einem System mit wenigen grossen Erzeu­gern hin zu einem Netz mit vielen dezen­tralen Erzeugern und grösseren Abnah­memengen eine erhebliche finanzielle und planungstechnische Herausforderung dar­stellt, darauf wies auch der Regierungsrat des Kantons Bern in der Debatte im Gros­sen Rat hin. Diese Herausforderungen er­streckten sich nicht nur auf den Ausbau grosser Übertragungsleitungen, sondern vor allem auch auf die lokalen Mittel­spannungs­ und Niederspannungsnetze. Sowohl die begrenzten Netzkapazitäten als auch die komplexen Bewilligungsver­fahren erwiesen sich als herausfordernde Faktoren. Die Erteilung von Genehmigun­gen für die Errichtung von elektrischen Anlagen oder Netzverstärkungen liegt in der Zuständigkeit des Eidgenössischen Starkstrominspektorats (ESTI) und des Bundesamts für Energie (BFE). Um die dringend benötigte Beschleunigung dieser Verfahren zu ermöglichen, hat der Bun­desrat am 22. November 2023 die Einfüh­rung des sogenannten «Netzexpresses» angekündigt.

TAUSENDE VON GESUCHEN HÄNGIG

Unabhängig von diesen politischen Be­strebungen bleibt die Arbeitslast bei den Netzbetreibern gross. Wie die BKW auf Anfrage gegenüber dieser Zeitschrift er­klärt, werden bei ihr jährlich rund 18000 technische Anschlussgesuche eingereicht, sei es für den Anschluss von Energieerzeu­gungsanlagen, Batteriespeichern, Wärme­pumpen, Ladestationen für Elektrofahr­zeuge oder Liften. Aktuell seien um die 2000 TAG bei der BKW in Bearbeitung. «Die Bearbeitungsdauer kann stark variie­ren, von zwei bis drei Tagen bis zu mehre­ren Monaten», schreibt die BKW. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer liegt gemäss dem Sprecher bei circa einem Mo­nat. «Zur Bearbeitung der TAG setzt die BKW seit dem Jahr 2023 auf Automatisie­rungslösungen und optimiert diese fort­laufend», heisst es bei der BKW weiter. Eine Massnahme, die offensichtlich noch nicht in allen Fällen zu einer rascheren Bearbeitung führt. Trotz automatisierter Prozesse sei in vielen Fällen eine indivi­duelle Prüfung und Beurteilung durch Fachspezialistinnen und Fachspezialisten nötig, beispielsweise für die Durchfüh­rung von Netzberechnungen, wenn die geplante Anlagenleistung zu gross ist und die Netzkapazität nicht ausreicht. «Dies führt aktuell zu langen Bearbeitungszei­ten. Wir setzen alles daran, solche Anfra­gen zeitnah zu beantworten und somit zu bewilligen», schreibt das Unternehmen. Die langen Wartezeiten hätten nicht nur mit der steigenden Anzahl, sondern auch mit der zunehmenden Komplexität der TAG und der Installationsanzeigen zu tun. «Durch die Energiewende hat sich bei uns der Eingang von TAG von 2021 bis 2023 mehr als verdoppelt», so die BKW. Es scheint so, als sei die BKW davon über­ rascht worden, dass die Energiewende nun endlich Fuss fasst. Immerhin kann im Netzgebiet der BKW bei rund 85% der Photovoltaikanschlüsse der Anschluss ans Verteilnetz ohne weitere Arbeiten erfol­gen. Von den verbleibenden 15% (2022 waren es noch 10%) können die gemelde­ten Leistungen bei der Hälfte der Anlagen mit geringerem Arbeitsaufwand und so­ mit in einem kürzeren Realisierungs­zeitraum an das Verteilnetz angeschlossen werden. Bei der anderen Hälfte ist hin­gegen eine umfangreichere Netzverstär­kung erforderlich, einschliesslich des da­zugehörigen Bewilligungsverfahrens beim Bund. Dies kann bei komplexen Fällen mit notwendigem Bewilligungsverfahren auch mehr als zwei Jahre in Anspruch nehmen. «Die ‹freie› Netzkapazität nimmt laufend ab, da die angeschlossene PV­Leistung schneller zunimmt als wir unser Verteil­netz ausbauen können», erklärt das Unter­nehmen.

 

WARTEZEITEN VON BIS ZU MEHREREN JAHREN

Sobald am Netz tatsächlich etwas gebaut werden muss, können die Wartezeiten rasch deutlich länger werden. Je nach Umfang und Komplexität dauert es zwi­schen zwei Wochen und fast zwei Jahren. Kann kein Standort für die notwendigen Anlagen gefunden werden oder liegen Einsprachen vor, so kann sich das Verfah­ren noch deutlich mehr in die Länge zie­hen. Das war auch der Grund, warum der Bundesrat im November 2023 angekün­digt hat, zusätzliche Massnahmen auf Ge­setzes­ und Verordnungsstufe zu prüfen, um diese Verfahren weiter zu beschleuni­gen. Dazu gehören beispielsweise die Op­timierung der bundesinternen Verfahrens­ und Bereinigungsprozesse bei Projekten im Sachplan Übertragungsleitungen, ge­setzliche Vorgaben zur Technologiewahl zwischen Freileitung oder Kabel, der Ver­zicht auf ein Sachplanverfahren für den Ersatz oder die Sanierung bestehender Leitungen auf bestehenden Trassees oder der Verzicht auf eine Plangenehmigung für Niederspannungsverteilnetze in Bau­zonen. Bis Ende November 2024 sollen die Anpassungen auf Verordnungsstufe vor­ liegen. Gemäss BKW sind heute je hälftig kleinere und grössere Netzbaumassnah­men erforderlich. Bei den kleineren Mass­nahmen auf Netzebene 7 wird mit einigen Wochen Anpassungszeit gerechnet. Bei komplexeren, grösseren Massnahmen im Niederspannungsnetz sowie Massnahmen im Mittelspannungsnetz kann allein das Baubewilligungsverfahren ein bis acht Monate dauern. Für grössere Netzbau­massnahmen sind auch oft neue Trafo­stationen erforderlich. «Leider stellen wir fest, dass die Standortsuche für Trafosta­tionen und Verteilkabinen sowie die Tras­seefindung zunehmend schwieriger wer­den», erklärt die BKW. Öffentlicher Raum zu diesem Zweck sei nicht vorhanden, die Umsetzung ausserhalb der Bauzonen nicht bewilligungsfähig und in privatem Raum abhängig vom Eigentümer. «Wir haben heute – zum Glück erst vereinzelt – leider aber auch Fälle, wo wir trotz langer und intensiver Suche keinen bewilligungsfähi­gen Standort für Netzinfrastrukturanlagen gefunden haben und in diesem Quar­tier entsprechend keine neuen PV­Anla­gen mehr anschliessen können», schreibt das Unternehmen. In Zukunft sei mit mehr Standortschwierigkeiten zu rechnen. Umso wichtiger sei der Dialog mit Politik, Behörden und Bevölkerung für einen be­schleunigten Netzausbau und eine höhere Akzeptanz von Netzinfrastrukturen in der Bevölkerung. Nach der Annahme des an­ gepassten Stromgesetzes werden diese Diskussionen umso dringlicher.

ZUBAU OHNE NETZAUSBAU?

Allerdings gäbe es auch andere Möglich­keiten, mit weniger Netzausbau mehr An­lagen anzuschliessen. Denn gemäss einer Studie von Meteotest kommt es insgesamt günstiger, wenn Solaranlagen überdimen­sioniert und gleichzeitig abgeregelt wer­den. Die Frage dabei ist höchstens, wer die Kosten trägt oder, mit anderen Worten, ob Strom, der nicht eingespeist werden kann auch vergütet wird. Für Anlagenbetrei­bende kann es aber auch ohne solche Entschädigung – beispielsweise mit Massnah­men beim Eigenverbrauch – interessant sein, die Anlage abzuregeln, anstatt die Anschlussleistung auf das Maximum aus­zurichten. Für solche Lösungen signali­siert auch die BKW Offenheit. «Bereits heute können unsere Kundinnen und Kunden, sofern sie dies wünschen und ge­wisse Voraussetzungen erfüllt sind, die Option einer vertraglichen Abregelung wählen, statt die Anschlussleitung vom Verteilnetz bis zur Liegenschaft kosten­pflichtig auszubauen», schreibt das Unter­nehmen. Dies gilt allerdings nur für Anla­gen bis 30 kW. Doch gerade bei grossen Anlagen wären solche Modelle interes­sant. Denn gerade bei grossen Anlagen können die zusätzlichen Netzausbaukos­ten zum Scheitern von Projekten führen. So oder so ist klar, dass sowohl der Ge­setzgeber als auch die Netzbetreiber ge­fordert sind, rasch Lösungen vorzulegen. Im Moment zeichnet sich ab, dass der So­larausbau wie gewünscht ungebremst weitergeht. Entsprechend müssen die Bremsklötze bei diesem Ausbau rasch ent­fernt werden.