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Nationale Solarinitiative

Am 11. Juni 2024 hat die Unterschriftensammlung für eine nationale Solar­initiative begonnen, die den Solarausbau und damit die Energiewende voran­ treiben möchte. 2023 nahm die Schweizer Stimmbevölkerung das Klimaschutz­ gesetz an, womit sich die Schweiz verpflichtete, den Treibhausgasausstoss bis 2050 auf netto null zu reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir heute auf erneuerbare Energieträger umstellen und aus den fossilen Energien aussteigen. Die Präsidentin der Grünen Schweiz, Lisa Mazzone, erzählt uns im Interview mehr dazu.

«Jetzt ist die Zeit des Sammelns»

Text: Sarah Kuhn

 

Vor knapp einem Monat hat die Unterschriftensammlung für die Solarinitiative begonnen, die von der Grünen Partei lanciert wurde. Was ist das Ziel der Initiative, und warum braucht es sie? Ist sie nach der Annahme des Man­telerlasses überhaupt noch notwendig?

Lisa Mazzone: Die Solarenergie hat ein riesi­ges Potenzial in der Schweiz: Es ist so gross wie der aktuelle jährliche Konsum. Und sie ist die beste Alternative zu den klimaschäd­lichen fossilen Energien. Aber dieses Poten­zial ist heute nur zu einem Zehntel ausge­schöpft. Trotzdem hat die bürgerliche Mehrheit des Parlaments sich gegen einen Solarstandard im Stromgesetz gewehrt. Ohne die Solarinitiative laufen wir Gefahr, dass die Entwicklung der Solarproduktion nicht schnell genug vorangeht und dass die gleiche Mehrheit einerseits die Verlänge­rung der uralten Atomkraftwerke vorzieht, anderseits unverhältnismässige Eingriffe in die Natur plant.

 

Auf kantonaler Ebene gab es bereits gleich­ lautende Solarinitiativen. Während im Kanton Thurgau noch abzuwarten bleibt, was nach der erfolgreichen Einreichung im Spätherbst 2023 passiert, lehnte Schaff­hausen die Solarinitiative am 9. Juni 2024 an der Urne ab. In Bern kam sie 2021 eben­falls zustande. Mittlerweile scheint es den bürgerlichen Parteien jedoch zu gelingen, den Gegenvorschlag so weit auszuhöhlen, dass abgesehen von einer Solarpflicht auf Parkplätzen nicht wirklich neue Regelun­gen eingeführt würden. Die Bilanz auf kan­tonaler Ebene ist bisher also durchzogen. Warum glauben Sie, dass das Anliegen auf nationaler Ebene erfolgreich sein wird?

Der Solarstandard entspricht dem, was die Bevölkerung als Norm für ein Gebäude ver­steht. Mehr als 90% der Leute sagen, dass sie mit Solaranlagen auf allen geeigneten Dächern und Fassaden einverstanden sind. Im Nationalrat gab es auch zuerst eine Mehrheit dafür. Aber der Ständerat mit sei­nem konservativen Geist hat es verhindert. Alle Kantone, die vorwärtsmachen, leisten einen Beitrag. Aber es muss für die ganze Schweiz gelten. Und dort, wo die Stimm­bevölkerung vorsichtiger ist, schafft es Ver­trauen, wenn es der Plan des Bundes für die ganze Schweiz ist.

DAS WILL DIE INITIATIVE

Konkret soll es in Zukunft zur Pflicht werden, dass bei Neubauten und grös­seren Umbauten geeignete Dächer, Fas­saden und Infrastrukturen für die er­neuerbare Energieproduktion genutzt werden. 15 Jahre nach Annahme der Initiative soll diese Regelung ebenfalls für bestehende Bauten gelten, und der Bund soll wo nötig den Solarausbau finanziell unterstützen. Die Initiative sieht aber auch vor, dass in Fällen, bei denen die Installation einer Solar­anlage unverhältnismässig wäre, Aus­nahmen gewährt werden sollen – etwa in Bezug auf den Denkmalschutz.

 

https://solar­initiative.info/argumente

 

Auf der anderen Seite hiessen Anfang Mai dieses Jahres sowohl der Luzerner Regie­rungsrat als auch das Parlament eine So­larpflicht auf Dächern von Neubauten gut. Die Grünen in Luzern hatten zudem gefor­dert, dass alle bestehenden Bauten bis 2040 auch ohne Sanierung eine Anlage in­stallieren müssen. Dies wurde jedoch deutlich abgelehnt. Warum ist das so um­stritten? Sie fordern dasselbe – befürchten Sie nicht, dass dies den Menschen zu weit geht und sie die Initiative darum nicht un­terstützen werden?

Die Klimadringlichkeit ist unsere Realität: dramatische Unwetter, tödliche Hitzepha­sen. Man muss dezidiert dagegen handeln. Die fossilen Energien müssen vor allem durch Reduktion der Stromverschwendung und mit viel mehr Solarenergie ersetzt wer­den. Unsere Initiative macht insofern die Energiewende möglich. Das ist gut für die Versorgungssicherheit, die Unabhängigkeit gegenüber Russland oder anderen Auto­kratien, aber auch für eine lebenswerte Zu­kunft. Unsere Initiative schafft Planungs­sicherheit und lässt genügend Zeit für die Umsetzung: zehn Jahre. Sie sieht auch Här­tefälle vor. Das Ziel ist nicht, rigid zu sein, sondern wirksam.

 

In Schaffhausen wurde die Abstimmungs­niederlage unter anderem damit erklärt, dass die Stimmbevölkerung die Vorlage als Zwang wahrgenommen habe. Gianluca Looser, Schaffhauser Kantonsrat der Jun­gen Grünen, hielt nach der Schlappe der Schaffhauser Solarinitiative im Juni 2024 fest, dass sie im Wahlkampf stärker hätten betonen sollen, «dass nicht nur alle in die Pflicht genommen werden, sondern auch alle davon profitieren würden». Interessant wäre, zu hören, wie denn nun die Schweizer Bevölkerung von dieser Ini­tiative konkret profitieren würde.

Im Gebäudebereich gibt es schon heute zahlreiche Pflichten. Mit den Schutzbun­kern war es so: Damals hat man gesagt, dass sie für die Sicherheit nötig sind, und sie wurden einfach Teil des Pflichtenheftes. Beim Abwasseranschluss war es gleich. Der Mehrwert für die ganze Gesellschaft ist so gross, dass dieser neue Standard selbstver­ständlich ist. Und: Finanziell schafft das Stromgesetz gute Instrumente, um die Be­sitzerinnen und Besitzer zu unterstützen. Es gibt auch Lösungen wie Genossenschaften, wo man nicht selbst investieren muss.

 

Wie können Sie vermitteln, dass die Solar­pflicht für die Versorgungssicherheit un­abdingbar ist? Hat man bisher den Fokus zu stark auf die Vorteile im Klimaschutz gelegt und die Versorgungssicherheit aus­ser Acht gelassen?

Nein. Spätestens seit dem Angriff Russ­lands auf die Ukraine spricht man ausführ­lich über die Versorgungssicherheit. Aber was noch nicht breit vermittelt wurde ist, dass die Zukunft der Stromproduktion de­zentral ist. Das Modell bleibt: grosse Anla­gen mit grossen Eingriffen. Dass die Addi­tion von allen kleineren Solaranlagen so viel Wert hat, dass sie für die Versorgung der Schweiz hochrelevant ist, ist die Ge­schichte, die wir jetzt erzählen müssen.

 

Kann man angesichts der Verzögerungen beim Netzausbau und Netzanschluss in ge­wissen Gebieten diese Vorteile überhaupt vermitteln? Lassen sich die Stimmenden mit Vorteilen für die Allgemeinheit überzeugen, wenn sie persönlich Lasten zu tragen haben?

Das Stromgesetz steckt sehr ambitionierte Ziele für die Produktion der erneuerbaren Energien. Um sie zu erreichen, müssen so­wieso die Netze verstärkt werden. Es ist eine grosse Investition, aber kollektiv brau­chen wir sie. Mit den neuen Instrumenten des Stromgesetzes – insbesondere den Energiegemeinschaften – gibt es zudem vorteilhafte Lösungen.

 

Eines der Argumente der Initiative ist, dass das Parlament den Solarausbau stark ver­schlafen oder sogar bewusst ausgebremst hat. Befürchten Sie nun auch bei der Solar­initiative Gegenwind aus dem Parlament? Dass von bürgerlicher Seite Gegenwind kommt, scheint ja nicht unwahrscheinlich.

Genau. Wir haben den parlamentarischen Weg zuerst versucht, weil er schneller ge­wesen wäre. Aber das Parlament hat die Vorschläge abgelehnt. Deswegen braucht man eine Volksinitiative. Die dezentrale So­larproduktion ist die Zukunft. Das muss im Bundeshaus noch ankommen.

 

Welche Strategien verfolgen Sie oder das Initiativkomitee, um einen Gegenvor­schlag zu verhindern oder zumindest ei­nen Vorschlag zu erreichen, der die wich­tigsten Punkte der Initiative aufnimmt?

In der Vorbereitung der Initiative haben wir viele Gespräche geführt. Jetzt ist die Zeit des Sammelns. Die Grünen sind voll moti­viert und mobilisiert, um die 100000 Un­terschriften zu sammeln. Aber es ist ein grosses Stück! Wenn man sie zusammen­ hat, kann man dem Parlament zeigen, dass es ein wichtiges und breit getragenes An­liegen ist. Das schafft wieder mehr politi­sche Möglichkeiten.

 

Welchen Einfluss hat der russische An­griffskrieg in der Ukraine auf die Energie­debatte in der Schweiz? Sie erwähnen die Unabhängigkeit von Autokraten wie Putin auch in Ihrem Argumentarium. Ist das beim Sammeln ein Thema bei den Gesprä­chen mit Passantinnen und Passanten?

Auf der Strasse gilt die Solarenergie einfach als eine Selbstverständlichkeit, und die Leute unterschreiben für ihre schnelle Ent­wicklung. Aber in der Politik hat der russi­sche Angriffskrieg in der Ukraine eine wich­tige Rolle gespielt, weil er allen gezeigt hat, was für gefährliche Abhängigkeiten die fossilen Energien schaffen. Der Solarex­press ist eine Folge dieser Feststellung, ebenso das ambitionierte Stromgesetz.

 

Die Sammlung hat gerade erst begonnen. Wie können sich Interessierte am ein­fachsten für die Initiative einsetzen?

Wenn es noch nicht gemacht ist: die Initiative unterschreiben, fünf bis zehn Unterschriften sammeln und schnell zurückschi­cken. Jede Unterschrift ist wichtig, und je schneller, desto besser!