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Mit Elektrolyse das Stromnetz stabilisieren

Foto: Nicole Köhler auf Pixabay

Produktionsspitzen müssen nicht zwingend gebrochen werden, wenn der Strom anderweitig genutzt werden kann. Die Herstellung von Wasserstoff durch Elektrolyse kann die Stromnachfrage bei hoher Produktivität künstlich erhöhen. Das entlastet das Netz und erlaubt gleichzeitig eine reduzierte Verwendung von fossilen Energieträgern in anderen Sektoren.

Text: Matthias Schiemann

Erneuerbare Energien erweisen zweifelsohne viele Vorteile und sind unbestritten die Zukunft der Energieversorgung. Als zukünftige alleinige Säule der Schweizer Stromversorgung stellen sie aber auch eine Herausforderung für das Schweizer Stromnetz dar. Denn im Gegensatz zu fossiler und atomarer Energie ist ihre Produktion stochastisch und saisonal. Solarstrom gibt es, wenn die Sonne scheint; Windstrom, wenn der Wind fegt. Und das macht sie schwieriger zu regeln.

Herausforderung für die Schweizer Stromnetze

Das Schweizer Stromnetz ist in verschiedenen Ebenen mit unterschiedlich hoher Spannung strukturiert. Dies ist nötig, um Strom über weite Strecken mit möglichst wenig Verlusten zu transportieren und gleichzeitig die Versorgung in alle Ecken der Schweiz zu garantieren. Um diese Spannung zu halten, muss eine konstante Last – also eine konstante Menge Strom– im Netz gehalten werden. Da Strom aber nicht im Netz gespeichert werden kann, muss dazu ein Gleichgewicht zwischen eingespeistem und verbrauchtem Strom bestehen. Wird zu viel Strom eingespeist, steigt die Spannung; ist es zu wenig bricht sie zusammen. In beiden Fällen kann es zu Schäden und Ausfällen kommen. Die Schwierigkeit ist deshalb, die Produktion dem Verbrauch anzugleichen. Gemäss der Energiestrategie 2050 sollen die neuen erneuerbaren Energien zu einer tragenden Säule der Stromversorgung werden. Das stellt das Netz vor zwei Herausforderungen: Das aus der Sorge um die Versorgungssicherheit prominentere Problem ist, produktionsarme Monate überbrücken zu können, doch auch das Gegenteil kann zum Problem werden: Produktionsspitzen könnten das Netz überlasten. Um dies zu verhindern, muss die eingespeiste Strommenge bei hoher Produktion gedrosselt oder der Stromverbrauch künstlich erhöht werden. Eine Option ist es, die entsprechenden Kraftwerke einfach abzustellen bzw. ihre Einspeisung zu limitieren. Das ist allerdings schade um die verlorene Energie und die aufgewendeten Kosten. Eine andere Option ist es, den Strom zu speichern oder anderweitig zu nutzen. In Batterien kann der Strom als solcher gespeichert werden. Alternativ kann er in einen anderen Energieträger umgewandelt werden, um die Energie entweder wiederum zu speichern oder innerhalb eines anderen Energiesektors zu nutzen. Möglich ist beispielsweise die Umwandlung in Wasserstoff – ein Gas, das längst nicht nur noch ein Hype ist, wie Stefan Oberholzer, u.a. Leiter der Forschungsprogramme Wasserstoff und Brennstoffzellen am Bundesamt für Energie (BFE), meint.

Power-to-Gas

Die Elektrolyse ist ein Verfahren, bei dem mittels Strom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird. Die Energie des investierten Stroms ist nachher, mit Verlusten von rund 25–30%, in Form von Wasserstoff enthalten. (Der Energieverlust liegt in Form von Wärme vor, die, wenn smart gekoppelt, auch verwendet werden kann.) Aus Strom – Power – mach Gas. Sollten also die erneuerbaren Energien zubestimmten Zeiten die eigentliche Nachfrage übersteigen, liesse sich aus der überschüssigen Produktion Wasserstoff herstellen. Die dafür benötigte Energie würde gewissermassen die Stromnachfrage künstlich steigern und das Gleichgewicht im Netz wiederherstellen. Dieses würde dadurch entlastet, ohne die nutzbare Energie zu verlieren. «Die organisierte Wasserstoffherstellung übernähme damit eine Regeldienstleistung», sagt Oberholzer. Im Gegensatz zu Strom liesse sich der Wasserstoff dann sogar einfacher und langfristig speichern oder könnte in anderen Sektoren angewendet werden, in denen heute auf fossile Energieträger zurückgegriffen wird.

Verschiedene Anwendungen möglich

Dadurch liesse sich die Verwendung von fossilen Energieträgern reduzieren. In erster Linie sieht Oberholzer dabei Anwendungen in der Industrie und der Mobilität. Der heute in der Schweiz verwendete Wasserstoff wird fast ausschliesslich als chemischer Stoff in der Industrie verwendet und stammt dabei fast ausschliesslich aus fossilen Quellen – sogenannter «blauer Wasserstoff». Dieser liesse sich mit «grünem Wasserstoff» aus erneuerbar angetriebener Elektrolyse ersetzen. Eine andere Anwendung des Gases wäre der Einsatz als Treibstoff in der Mobilität. Brennstoffzellen haben sogar den besseren Wirkungsgrad als herkömmliche Verbrennungsmotoren. «Für kleinere Fahrzeuge mit beschränkter Reichweite ergibt Wasserstoff nur bedingt Sinn, da Batterieelektromobilität den noch besseren Wirkungsgrad hat. Im Schwerverkehr funktioniert die Batterieelektromobilität aber aus Gewichtsgründen nicht», erklärt Oberholzer. Hier könnten die grossen Dieselflotten durchaus ersetzt werden. Darüber hinaus könnte Wasserstoff grundsätzlich auch stationär eingesetzt werden, um damit über eine Brennstoffzelle wieder Strom und Wärme zu generieren. Zum Beispiel im Winterhalbjahr, wenn weniger Solarstrom produziert wird. Oberholzer beurteilt diese Möglichkeit aber als zurzeit noch wenig realistisch: «In diesem Bereich wird aus Wasserstoff produzierter Strom wohl erst dann eine Chance haben, wenn die Winterstromkapazität deutlich kleiner und Strom aus fossilen Quellen zu teuer würde.»

Netzentlastung als Kostenfrage

Dazu kommt, dass der Betrieb eines Elektrolyseurs erst ab einer bestimmten Anzahl Betriebsstunden wirtschaftlich rentabel wird. Es benötigt also genügend überschüssigen Strom. Die gängige private Photovoltaikanlage reicht dafür nicht aus. Das Projekthaus Brütten beweist zwar, dass es technisch möglich ist, Wasserstoffproduktion und -gebrauch in ein häusliches Energiesystem zu implementieren; für die private dezentrale Prosumentin rechnet sich das aber nicht. Denn neben der PV-Anlage benötigt es dann zusätzlich den Elekrolyseur, einen Wasserstoffspeicher und Brennstoffzellen zur Rückverstromung. Deshalb sieht Oberholzer das Potenzial für Wasserstoff weniger auf der Verteilnetzebene, wo kleine Kraftwerke normalerweise einspeisen. Ertragreicher sei die zentrale Produktion. Um die Gestehungskosten weiter zu drücken, sei es sinnvoll, die Produktion direkt an ein grosses Kraftwerk oder gar einen Verbund von Kraftwerken zu koppeln, um die Netzkosten zu umgehen, so Oberholzer. «Je nachdem, wie hoch die Netzkosten sind, können sich die Gestehungskosten für den Wasserstoff bis zu verdoppeln, wenn der Strom vom Netz bezogen wird.» Solche zentralen grossen Produktionsstätten könnten das Netz auf Hoch- und Mittelspannungsebenen entlasten, was letztlich der gesamten Netzstabilität diente. Heute wird unser häuslicher Strom gewöhnlich über die verschiedenen Netzebenen bis auf die gewünschten Volt runtertransformiert. Würden dezentrale Kleinanlagen bereits genügend Strom produzieren, um den Verbrauch auf der Verteilnetzebene zu decken, wäre dieser Schritt hinfällig. Die an die hohen Netzebenen angeschlossenen Kraftwerke könnten dann ihren produzierten Strom in die Herstellung von Wasserstoff stecken, statt ihre Energieniederspannig zu transformieren.

Nahe Zukunftsmusik

Derzeit ist der energetische Fahrplan nicht unbedingt auf Wasserstoff ausgerichtet. Noch fehlen gewisse Infrastrukturen für Speicherung, Transport und Mobilität. Zur Speicherung mangelt es an grossen Kapazitäten. Es gibt zwar das Transportnetz, das bis zu einem gewissen Grad als Puffer dienen kann, verschiedene Röhren- und Kugelspeicher als Tagesspeicher und Zugang zu einem grösseren Kavernenspeicher in Frankreich, aber für die saisonale Speicherung müsste noch einiges investiert werden. In Sachen Transport kann leider nur bedingt das vorhandene Gasnetz genutzt werden. Denn heute dürfen max. 2% Wasserstoff in Gasleitungen eingespeist werden. «Es ist durchaus denkbar, den Anteil auf 10–20% zu erhöhen, aber als Gasgemisch verliert der Wasserstoff seine Attraktivität, um mit hohem Wirkungsgrad beispielsweise in der Mobilität genutzt werden zu können», erklärt Oberholzer. Im Mobilitätsbereich tut sich hingegen einiges. Ein Projekt verschiedener Schweizer Akteure wird den Aufbau einer Brennstoffzellen-Lkw-Flotte und eines entsprechenden Tankstellen- und Transportnetzes ins Rollen bringen. Schliesslich braucht es aber vor allem genügend leistungsfähige Elektrolyseure und installierte erneuerbare Leistung, um diese zu «füttern».

Letztlich würde grüner Wasserstoff die Kopplung verschiedener Energiesektoren erlauben und somit eine Abwende von fossilen Treibstoffen ermöglichen. Wie so oft ist die Wirtschaftlichkeit dabei die grösste Hürde. Andererseits dürfte der bevorstehende Ausbau der zunehmend günstigeren erneuerbaren Energien den Stand des Gases stärken. Denn je mehr günstiger erneuerbarer Strom zur Verfügung steht, desto besser kann der grüne Wasserstoff mit fossilen Energieträgern auf dem Markt konkurrieren.