Die im «Energy Institute Statistical Review of World Energy» publizierten Weltenergiezahlen 2023 sind erschreckend. Noch nie wurde so viel Erdöl gefördert (+2,0%) und verbraucht (+2,5%) wie 2023. Mit einem Wachstum von 3,1% im Jahr 2023 wird der schädlichste fossile Energieträger, die Kohle, gefördert, woraus auch beim Kohleverbrauch ein neuer Allzeitrekordwert resultiert. Die Elektrizitätsproduktion auf der Basis von fossilen Energieträgern hat damit 2023 ebenfalls einen neuen Rekordwert erreicht.
Verbrauch fossiler Energie so hoch wie nie zuvor
Text: Beat Kohler
«Hat da jemand etwas von Energiewende gesagt?», fragen sich Solarpionier Josef Jenni und Politologe Christian Moser, welche die neusten Weltenergiezahlen analysiert haben. Ihr klarer Schluss: Es findet keine Energiewende statt, und der CO2-Eintrag in die Atmosphäre hat auch 2023 einen neuen Rekord erreicht. Die mit dem Zuwachs erneuerbarer Energien produzierten zusätzlichen Energiemengen wurden von der zusätzlichen fossilen Energie um das Zweieinhalbfache übertroffen. «Die bisherigen jährlichen Wachstumsraten der Erneuerbaren vorausgesetzt, würde es 62 Jahre dauern, bis fossile und erneuerbare Energieträger ein Verhältnis von 50 : 50 erreicht haben», schreiben Jenni und Moser. Sie fordern, dass die herrschende Energieverschwendung mit staatlichen Massnahmen konsequent verhindert und die Förderung erneuerbarer Energien entschiedener verstärkt wird. Die Welt solle sich so schnell wie möglich vom bestehenden Wachstumsparadigma verabschieden.
Verbrauch steigt ungebremst
Die Zunahme des Primärenergieverbrauchs erfolgt insgesamt ungebremst linear. Mit fast der Hälfte der Zunahme sind Südostasien und Australien mit China, Indien, Japan und Südkorea die Haupttreiber. Afrika hat nur 3,4% des Welttotals zu verantworten. Europa (12,6% des Welttotals) verzeichnet zwar einen Rückgang wegen der stagnierenden Bevölkerung, stellt aber viele energieaufwendige Produkte nicht selbst her. Der Primärenergieverbrauch der Schweiz ist nach den Pandemiejahren im Jahr 2023 um 8,5% angestiegen, was die dritthöchste Zunahme unter den europäischen Staaten ist. Mit 30,0% war 2023 der Anteil des Erdöls am weltweiten Energiekuchen zwar so gering wie noch nie, dennoch wurden neue Rekordmengen gefördert und verbraucht. Der Anteil ist nur wegen der noch enormeren Zuwachsraten bei Erdgas und Kohle gesunken. Für das globale Mengenwachstum beim Öl sind insbesondere die USA (+8,5%) und Brasilien (+12,5%) verantwortlich. Grösster Erdgasproduzent sind ebenfalls die USA mit einem Mengenzuwachs von 4,4% im Jahr 2023 und einem Weltanteil von 25,5%. Wie Jenni und Moser feststellen, geht der Kohleboom uneingeschränkt weiter: Im Berichtsjahr wurden erstmals über 9000 Millionen Tonnen gefördert. Der Anteil nicht fossiler Energieträger stieg in den letzten 24 Jahren von rund 13% auf rund 17%, derjenige von erneuerbaren Energieträgern (ohne Nuklearenergie) im gleichen Zeitraum von rund 7% auf rund 13%. Die Menge erneuerbarer Energien stieg 2023 (Sonne +24,2%, Wind +10,3%, Wasserkraft –1,9%). «Allein diese Zahlen sind ein klares Indiz, dass grössere Anteile von erneuerbaren Energieträgern sowie die aktuellen Wachstumsraten allein nicht ausreichen werden, um in absehbarer Zeit eine tatsächliche Energiewende herbeizuführen», stellen Jenni und Moser fest.
Treibhauseffekt nimmt weiter zu
Der Anteil an atmosphärischem CO2 hat mit 421,08 ppm einen neuen Rekordstand erreicht. «Solange nicht entschiedener Gegensteuer gegeben wird, wird sich dies Jahr für Jahr wiederholen», halten Jenni und Moser fest. Zu wenig im Bewusstsein sei, dass die maximale Entfaltung der Treibhauswirkung von CO2 ungefähr zehn Jahre nach der Freisetzung erfolgt und dieses eine Verweildauer in der Atmosphäre von weit über 100 Jahren hat. Um den Treibhauseffekt und die Erderwärmung tatsächlich zu stoppen, wäre ein entschiedeneres Umdenken erforderlich, das jetzt erfolgen muss – mit den vorliegenden bekannten und bewährten technischen Verfahren. «Das Spekulieren auf neue und bloss gedanklich konzipierte Verfahren, deren Realisation noch aussteht und allenfalls noch Jahre oder Jahrzehnte dauern wird und deren Nebenwirkungen unterschätzt oder sogar unterschlagen werden, bringt uns nicht weiter. Solche ‹Lösungen› dienen vielfach bloss als Rechtfertigung, jetzt noch nicht handeln zu müssen», ist für Jenni und Moser klar. Dabei reiche der Zubau erneuerbarer Energien, wie die Zahlen zeigten, nicht aus: «Wollen wir tatsächlich Effekte in Richtung einer ökologisch und energetisch nachhaltigeren Welt erzielen, können wir dies letztlich nur mit mehr Bescheidenheit erreichen, mehr Bescheidenheit generell als Lebenshaltung wie auch in unseren Ansprüchen als Konsumentinnen und Konsumenten.» Letztlich stünden zwei grundsätzliche Alternativen zur Auswahl: entweder eine gewollte, geplante, kontrollierte und bewusst angegangene Transformation oder das unkontrollierbare Überwältigtwerden durch katastrophale Ereignisse. Bezeichnend sei, dass in den letzten 40 Jahren der Primärenergieverbrauch und der CO2-Eintrag in die Atmosphäre nur in zwei Jahren abgenommen haben: 2009 und 2020, bedingt durch die Auswirkungen der Finanz- und der Pandemiekrise.
https://www.energyinst.org/statistical-review