Im Dezember 2015 berichtete Marcel Hänggi als Journalist von der Uno-Klimakonferenz in Paris. In einem Kommentar forderte er von den Regierungen einzufordern, worauf sie sich in Paris verständigt haben. Nur zu schreiben und zu fordern genügte ihm aber nicht mehr und er schlug im Mai 2016 vor, eine Volksinitiative zu lancieren. Im Herbst 2016 bildete sich eine informelle Gruppe, die eine solche Initiative auszuarbeiten begann. Ende August 2018 wurde der überparteiliche Verein Klimaschutz Schweiz gegründet und am 26. Januar 2019 die Lancierung der Gletscher-Initiative beschlossen. Seit Ende April läuft nun die Unterschriftensammlung.
Text: Beat Kohler
Ende April haben sie die Gletscherinitiative offiziell lanciert. Wie läuft die Unterschriftensammlung bisher?
Marcel Hänggi: Ich habe einen sehr guten Eindruck, es läuft gut. In den ersten zehn Tagen haben wir mehr als 16’000 Unterschriften gesammelt. Am 24. Mai waren es bereits über 26’000 Unterschriften. Wir haben sehr viel Aufmerksamkeit von ganz verschiedener Seite erhalten. Auch die Leute die auf der Strasse Unterschriften sammeln stellen fest, dass es verglichen mit anderen Anliegen leichter ist, für diese Initiative zu sammeln.
Gletscher-Initiative
Am Freitag, 10. Mai 2019, startet die Unterschriftensammlung für die Gletscher-Initiative. Sie fordert, dass die Treibhausgas-Emissionen bis spätestens 2050 netto auf null sinken müssen. Konsequenterweise muss auch die Nutzung fossiler Brenn- und Treibstoffe bis spätestens 2050 aufhören. Ausnahmen sind möglich, wo es keine technischen Alternativen gibt, sofern die dadurch verursachten CO2-Emissionen durch Senken kompensiert werden. Die Initiative verlangt, dass die Klimapolitik so umgesetzt wird, dass sie sozialverträglich ist und die Volkswirtschaft stärkt. Die notwendige Transformation ist eine Chance für Wirtschaft und Gesellschaft. Die politischen Instrumente gibt die Initiative nicht vor: Das wird Sache des ausführenden Gesetzes sein. Einzig die Innovations- und Technologiepolitik ist explizit vorgesehen. Hinter der Initiative steht der 2018 gegründete, unabhängige und überparteiliche Verein Klimaschutz Schweiz. Wie der Verein ist auch das Initiativkomitee breit abgestützt. Von den Parteien FDP, CVP, BDP, GLP, SP und den Grünen sitzt je ein Bundesparlamentarier oder eine Bundesparlamentarierin im Komitee. Ausserdem sind vertreten: die Jugend und das Alter, die Wissenschaften und die Wirtschaft, die Landwirtschaft und der Wintersport, die Kirchen, Männer und Frauen, Personen aus allen Landesteilen. (pd/red)
Sie kommen einfach zum richtigen Zeitpunkt angesichts von Klimastreik und Klimajugend?
Wenn wir das so geplant hätten, dann wäre das eine super Planung gewesen, es ist aber ein Zufall. Man sieht aber einen deutlichen Stimmungswandel. Vor etwas mehr als einem Jahr sind wir erstmals an die Öffentlichkeit gelangt. Das hat harsche Reaktionen bei Gegnern ausgelöst, unsere Forderungen seien wahnsinnig und viel zu extrem. Aber auch bei Befürwortern war die Lancierung umstritten mit dem Argument, das eine Niederlage an der Urne kontraproduktiv sei. Das hat sich jetzt total verändert. Fast niemand mehr – abgesehen von der SVP – hat das Gefühl, wir seien extrem. Das haben wir sicher einerseits der Jugendbewegung zu verdanken. Ich glaube, das auf der anderen Seite viele Menschen nach der Veröffentlichung des IPCC-Berichts vergangenen Oktober begonnen haben zu verstehen, dass die Situation wirklich dramatisch ist.
Gehen Sie tatsächlich von einem Sinneswandel bei vielen Menschen aus, oder schenken vor allem die Medien dem Thema nun mehr Aufmerksamkeit?
Ich glaube, es ist tatsächlich ein Sinneswandel. Die Medien sind der Entwicklung hinterhergehinkt, beispielsweise in Bezug auf den IPCC-Bericht. Als dieser herausgekommen ist war ich eigentlich enttäuscht über die relativ geringe Beachtung gemessen an der Bedeutung dieses Papiers. Trotzdem ist aber diese Jugendbewegung entstanden und dann haben die Medien nachgezogen, was natürlich bezüglich der öffentlichen Wahrnehmung hilfreich ist. Das wird auch keine Eintagesfliege sein. Nehmen sie den Fukushima-Effekt als Vergleich: Dieser war relativ rasch verflogen. Das war aber ein Unfall, der zwar alle schockiert hat, aber wieder vergessen ging. Beim Klimawandel ist es leider so, dass es nicht einfach als Ereignis so schnell vorbei sein wird. Es werden weitere heisse Sommer kommen und das Thema wird aktuell bleiben.
Spiegelt sich diese Erkenntnis auch bei den Reaktionen der Menschen, wenn Sie Unterschriften sammeln?
Ja. Ich war jetzt zwei Mal mit auf der Strasse unterwegs und erlebe häufig Reaktionen von Leuten, die sich dafür bedanken, dass endlich jemand etwas tut. Viele sind froh, dass nun etwas passiert.
Nach diesem guten Start: Wie rasch werden Sie die Unterschriften für die Initiative zusammenbringen?
Da möchte ich keine Prognose wagen. Der gute Start heisst ja nicht, dass wir jetzt wöchentlich 16’000 Unterschriften zusammenbringen. Es läuft aber gut und wir werden sicher nicht die ganze Sammelfrist von 18 Monaten ausnutzen müssen.
Wird dank Ihrer Initiative und dem Klimastreik das Thema national bis zu den Wahlen im Herbst die Agenda dominieren?
Ja, weil gleichzeitig noch das CO2-Gesetz in Bearbeitung ist. Dieses liegt momentan bei der ständerätlichen Kommission und wahrscheinlich wird die Vorlage in der Herbstsession behandelt. Danach wird sich auch der Nationalrat noch einmal damit befassen müssen. Schon alleine deshalb ist das Thema weiterhin auf der Agenda. Kommt hinzu, dass der Bundesrat das Bundesamt für Umwelt beauftrag hat, die Klimaziele, welche die Schweiz bei der UNO eingegeben hat, bis Herbst 2019 zu überarbeiten. Nicht zuletzt sorgen nun auch einige politische Parteien dafür, dass das Thema im Wahlkampf präsent sein wird. Wenn wir die kantonalen Wahlen in Zürich, Baselland oder Luzern betrachten, dann war das Klima auch dort immer ein Thema.
Ist der Gesinnungswandel bei der FDP aus ihrer Sicht eine direkte Folge auch Ihrer Initiative?
Dafür waren wohl verschiedene Faktoren wichtig, wir haben aber sicher auch dazu beigetragen. Vielleicht hat auf der anderen Seite die FDP mit ihrem Verhalten im Nationalrat bei der Beratung des CO2-Gesetzes Ende letzten Jahres uns auch geholfen, als sie extrem gegen eine ambitionierte Klimapolitik gearbeitet hat. Das hat auch in der FDP-Basis selber viel Ärger ausgelöst. Wir konnten diesen verärgerten Freisinnigen auch innerhalb der Partei Auftrieb geben. Ich bin sehr erfreut, wenn der Klimawandel – abgesehen vom ganz rechten Rand – nicht mehr länger ein links-rechts Thema ist und man sieht, dass dies alle Leute betrifft.
Sie haben sich auch ganz klar als Initiative aus der Zivilgesellschaft abseits der politischen Parteien positioniert. Wir die Gletscherinitiative dennoch einen Einfluss auf den Wahlausgang im kommenden Oktober haben?
Da das Klima ein Thema sein wird, werden die Parteien – wie man jetzt bei der FDP sieht – versuchen ja nicht als umweltfeindlich wahrgenommen zu werden. Natürlich werden auch die traditionell grünen Parteien wie Grüne oder Grünliberale einen Nutzen haben. Da mischen wir uns aber nicht ein. Wir sind froh, wenn das Klima ein wichtiges Wahlkampfthema ist. Wir haben aber in allen Parteien Unterstützerinnen und Unterstützer.
Noch vor einem Jahr wurden Ihre Forderungen als extrem wahrgenommen. Stand heute, nach dem IPCC-Bericht, sind Ihre Forderungen noch extrem genug? Reicht das aus?
Das frage ich mich selber natürlich auch immer wieder, ob wir nicht schon zu spät sind. Man ist aber nie zu spät, um noch schlimmeres zu verhindern. Für gewisse Ziele haben wir den Zeitpunkt bereits verpasst, das weiss man. Von unseren Gletschern können wir höchstens noch einen kleinen Teil retten. Insofern ist unsere Forderung klar. Wir fordern Null CO2-Ausstoss bis spätestens 2050. 2040 wäre besser und 2030 wäre noch besser. Wir versuchen etwas zu fordern, von dem wir glauben, dass es mehrheitsfähig ist. 2050 ist aber sich der späteste Zeitpunkt, darum fordern wir den Ausstieg auch bis spätestens 2050.
Ist der Wandel technisch aber auch gesellschaftlich machbar?
Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Das heisst aber nicht, dass es einfach wird. Die Techniken sind vorhanden. Ich habe mit Anthony Patt, ordentlicher Professor für Klimapolitik an der ETH Zürich, über diese Frage diskutiert und er hat mir das bestätigt. Oft fehlen aber noch die notwendigen Kapazitäten. Man könnte beispielsweise technisch CO2 aus der Luft Filtern und daraus Treibstoff machen, es gibt aber noch keine Anlagen dafür. Genau aus diesem Grund braucht es eine aktive Politik, die solche Bemühungen fördert. Darum haben wir die Technik- und Innovationsförderung auch im Initiativtext drin. Denn von alleine entstehen die notwendigen Kapazitäten nicht.
IPCC Sonderbericht über 1,5 °C globale Erwärmung (SR1.5)
Der SR1.5 wurde am 8. Oktober 2018 auf einer Pressekonferenz in Incheon, Südkorea, vorgestellt. Dieser Bericht zeigte auf, mit was für Risiken bereits bei einer Erwärmung von 1,5 °C zu rechnen sind. So werde bis 2100 der globale mittlere Meeresspiegelanstieg bei 1,5 °C globaler Erwärmung um etwa 0,1 Meter geringer als bei 2 °C sein. Der Meeresspiegel wird aber bis weit über das Jahr 2100 hinaus weiter ansteigen. Das Ausmaß und die Geschwindigkeit hängen von zukünftigen Mengen des ausgestossenen CO2 ab. An Land sind die Folgen für Biodiversität und Ökosysteme, einschließlich des Verlusts und des Aussterbens von Arten,laut Projektionen bei 1,5 °C globaler Erwärmung geringer als bei 2 °C. Klimabedingte Risiken für Gesundheit, Lebensgrundlagen, Ernährungssicherheit und Wasserversorgung, menschliche Sicherheit und Wirtschaftswachstum werden bereits bei einer Erwärmung um 1,5 °C zunehmen und bei 2 °C noch weiter ansteigen. Es gebe eine große Auswahl an Anpassungsmöglichkeiten, welche die Risiken des Klimawandels verringern können. Bei einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf unter 2 °C11 gehen die meisten Modelle von einer Abnahme der CO2-Emissionen bis 2030 um etwa 25 % und das Erreichen von netto null um das Jahr 2070 aus. Soll die Erwärmung auf 1,5 °C begrenzt werden, sind grössere Anstrengungen nötig. Schnelle und weitreichende Systemanpassungen in Energie-, Land-, Stadt- und Infrastruktur- (einschließlich Verkehr und Gebäude) sowie in Industriesystemen seien erforderlich. Diese Anpassungen seien zwar beispiellos bezüglich ihres Ausmasses, «aber nicht unbedingt bezüglich der Geschwindigkeit», hält der Bericht fest. Sie setzten «einschneidende Emissionsminderungen in allen Sektoren» und ein «bedeutendes Anwachsen der Investitionen» voraus. (pd/red)
Ist Innovationsförderung das richtige, wenn es vorangehen soll? Sie sagen ja selber, dass die notwendigen Techniken bereits vorhanden sind. Sollte der Schwerpunkt nicht hier liegen, damit man nicht immer noch neue Innovationen abwartet?
Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Ich habe in diesem Sinn auch einen weiten Innovationsbegriff. Für mich beinhaltet das nicht nur den Akt der Erfindung, sondern auch die Anwendung des bereits Vorhandenen. Im Prinzip müssten wir nichts neues mehr erfinden. Viele Techniken sind heute einfach noch in einem zu kleinen Umfang in Anwendung. Wenn aber noch neue Dinge dazu kommen, die den Wandel einfacher machen, dann sind die natürlich auch willkommen.
Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht dabei die neuen erneuerbaren Energien?
Erneuerbare Kapazitäten aufzubauen ist ein Weg zum Ziel, es ist aber nicht selber das Ziel. Die fossilen Energieträger loszuwerden ist das Ziel. Inwieweit man diese los wird und nicht ersetzt, weil wir sparsamer sind, und inwieweit man sie durch erneuerbare Energien ersetzt, das lassen wir im Initiativtext bewusst offen. Ich denke, ein eins zu eins Ersatz ist nicht sinnvoll. Die Energieversorgung in der Schweiz beruht heute aber mehrheitlich auf fossilen Energieträgern. Der Teil, den man ersetzt, muss mit erneuerbaren Energien ersetzt werden. Zumal wir in der Schweiz auch den Beschluss gefasst haben, aus der Atomkraft auszusteigen. Die neuen erneuerbaren Energien werden die Hauptrolle spielen, weil die Wasserkraft in der Schweiz schon sehr gut ausgebaut ist, wovon wir bereits profitieren können. Ich glaube in der Schweiz wird die Sonnenenergie die Hauptrolle spielen, weil es für Wind am Meer geeignetere Standorte gibt. Bei der Geothermie sehen Experten an sich ein grosses Potenzial, leider gab es in diesem Bereich fehlgeschlagene Versuche in Basel und St. Gallen.
Da die erneuerbaren Energien den Weg zum Ziel darstellen, spielen sie jetzt bei der Unterschriftensammlung nur eine untergeordnete Rolle?
In Initiativtext spielen sie keine Rolle. Sie sind aber sehr wichtig um zu zeigen, dass es möglich ist, die von uns anvisierten Ziele zu erreichen. Es wäre auch nicht sinnvolle gewesen, dies Detailliert in der Initiative festzuhalten, weil vieles noch offen sein muss für künftige Entwicklungen. Wir wollen aber zeigen, wie der Ausstieg aus dem CO2 möglich ist. Dazu gibt es auch bereits wissenschaftliche Studien, die auch die Kosten aufzeigen. Diese haben klar gezeigt, dass ein solcher Umbau günstiger ist, als so weiterzumachen wie bisher.
Sie gehen davon aus, die Unterschriften vor Abschluss der Sammelfrist zusammenzubringen. Danach folgt aber erst der eigentliche Abstimmungskampf und in der Schweiz werden die meisten Initiativen abgelehnt. Im Kanton Bern hat man vor kurzem gesehen, dass selbst geringfügige Anpassungen am Energiegesetz keine Mehrheit gefunden haben, aus Angst vor höheren Kosten. Wie zuversichtlich sind Sie, dann in der Abstimmung über die Initiative auch eine Mehrheit zu finden?
Das Risiko einer Ablehnung geht man mit einer Initiative immer ein. Natürlich war gerade die Abstimmung in Bern eine grosse Enttäuschung, insbesondere weil die neuen Regelungen nicht sehr weitgehend gewesen wären. So war es auch in Solothurn. Andererseits gibt es Beispiele für erfolgreiche Umweltinitiativen wie die Rotenturm- oder die Alpeninitiative. Der Erfolg entstand dort durch eine breite Koalition. Das versuchen wir auch zu erreichen und im Moment habe ich ein gutes Gefühl. Wir sind breit abgestützt sowohl aus linken, als auch aus bürgerlichen Kreisen, von Progressiven wie von Konservativen. Ich würde auch die ganze Arbeit nicht auf mich nehmen, wenn ich nicht an den Erfolg glauben würde.