In einer Modellrechnung zeigen Empa-Forscher auf, wie die Energiewende mit den geringstmöglichen kumulierten Emissionen gelingen könnte: Statt die Emissionen langsam zurückzufahren, sollten wir den Umbau auf Solarenergie rasch vorantreiben und dafür die fossilen Kraftwerke ein letztes Mal voll auslasten.
Empa/Redaktion
«Wer würde in ein Flugzeug steigen, das nur mit 50-prozentiger Sicherheit am Ziel ankommt?», fragen Harald Desing und Rolf Widmer eingangs ihrer Veröffentlichung. Auf der Reise in die Zukunft mit dem Raumschiff Erde besteht nicht die Wahl ein- oder auszusteigen. Umso erstaunlicher ist daher, dass selbst bei optimistischen Transitionspfaden des IPCC («Intergovernmental Panel for Climate Change») die Chancen, die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, nur bei 50 % liegen.
Radikal vereinfachter Ansatz
Es braucht also wesentlich mehr, um die Chancen auf eine sichere Zukunft zu erhöhen, überlegten sich die beiden Empa-Forscher. Und begannen zu rechnen, um die physikalische Grenze zur Beschleunigung der Energiewende zu finden. Mit Hilfe eines Modells, das speziell dafür in der Empa-Forschungsabteilung «Technologie und Gesellschaft» entwickelt wurde, vereinfachen sie die Weltwirtschaft zu einem radikalen, klaren Bild: Es gibt eine «fossile Maschine», die alle heutigen, nicht erneuerbaren Energiesysteme zusammenfasst und fossile Treibstoffe in Elektrizität umwandelt. Und es gibt eine «solare Maschine», die Elektrizität aus Sonnenlicht erzeugt.
Da die Solarpotentiale auf Dächern, Fassaden, Parkplätze und anderer Infrastruktur für die Wende ausreichen, brauche es in der Schweiz weder Solarparks auf der grünen Wiese, noch riesige Windparks. Die fossile Maschine müsse sobald möglich abgeschaltet werden, die andere, solare aufgebaut und in Gang gesetzt werden. Der Bau der solaren Maschine braucht zunächst einmal Energie, die zu Beginn der Energiewende nur aus der fossilen Maschine kommen kann. Wie funktioniert das mit den geringstmöglichen kumulierten Emissionen? Denn die Temperatur der Atmosphäre hängt nicht von den momentanen, sondern den gesamten kumulierten Emissionen ab.
Vollgas geben, dann hart bremsen
Die beiden Forscher haben mehrere Szenarien durchgerechnet und sind dabei zu einem klaren Ergebnis gekommen: Wir müssten jetzt alle fossilen Kraftwerke möglichst voll auslasten und die dadurch zusätzlich gewonnene Energie in den Aufbau der solaren Maschine stecken. «Unsere Simulation zeigt, dass der schnellstmögliche Umbau der Energiewirtschaft den geringsten kumulierten CO2-Ausstoss generiert», so Desing. Dies bedeutet paradoxerweise, dass die fossilen Emissionen während der Transition um bis zu 40% steigen, jedoch einzig mit dem Ziel, solare Infrastruktur aufzubauen. Damit könnte die Energiewende binnen fünf Jahren abgeschlossen sein, was zu den geringsten kumulierten Emissionen führt. Anschliessend kann die fossile Maschine für immer abgestellt werden.
Doch selbst die schnellstmögliche Energiewende führt immer noch mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent dazu, dass das 1.5°C-Ziel überschritten wird. Darunter geht es nicht mehr, dafür ist es schon zu spät. Und jedes Jahr, das wir zuwarten, erhöht diese Wahrscheinlichkeit weiter.
Fazit: Theoretisch wäre es noch möglich, die Wahrscheinlichkeit, dass das Klimaziel von 1.5°C überschritten wird, unter 50% zu drücken – allerdings nur, wenn wir nun bei der Energiewende Gas geben.