Im Moment diskutiert das Parlament das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, den sogenannten Mantelerlass. Im Vorfeld der Diskussionen der ständerätlichen Energiekommission haben sich verschiedene Verbände noch einmal medienwirksam in Position gebracht, um den Ausbau der Solarenergie auf diesem Weg zu beschleunigen. Greenpeace fordert beispielsweise vom Ständerat nichts weniger als einen «Solar-Sprint», um die Energie- und Klimaziele zu erreichen.
Text: Beat Kohler
Ende Januar hat die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) des Ständerates bekannt gegeben, dass sie einstimmig auf den Mantelerlass «Sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» eingetreten ist. Schon im Vorfeld hat die Behandlung dieses Geschäfts verschiedene Verbände und Gruppierungen dazu veranlasst, ihre Vorstellungen davon, wie die Stromversorgung sicherer gemacht werden kann, zu präsentieren. Der Tenor all dieser Vorstösse: Die Solarenergie wird in Zukunft zum wesentlichsten Pfeiler der Schweizer Energieversorgung werden. Greenpeace forderte einen «Solar-Sprint» vom Parlament, und Swissolar legte einen 11-Punkte-Plan zur Beschleunigung des Solarausbaus vor, der verschiedene Forderungen enthält, die auch die SSES schon seit längerer Zeit ins Feld führt. Walter Sachs, Präsident der SSES, freut sich, dass Swissolar und auch Greenpeace Forderungen auf- oder übernehmen, welche die SSES und ihre Fachgruppe VESE sich schon vor Langem auf ihre Fahne geschrieben haben, wie zum Beispiel die vor einiger Zeit lancierten Programme «Werkzeugkasten Rückliefertarife» und «minimaler Rückliefertarif» verdeutlichen.
Solar steht im Vordergrund
«Solarenergie wird in der Schweiz Strom in grossen Mengen liefern – erneuerbar, zeitnah und kostengünstig. Damit diese Umstellung gelingt, müssen wir jedoch mehr und schneller zubauen», sagt Jürg Grossen, Präsident von Swissolar, der einen Tag nach dem Vorstoss von Greenpeace das 11-Punkte-Programm von Swissolar für einen beschleunigten Solarzubau vorstellte. Wie schon in den vergangenen Jahren fordert der Branchenverband in Übereinstimmung beispielsweise mit der Schweizerischen Energiestiftung und der SSES weiterhin, dass die Photovoltaik bis 2050 45 Terawattstunden (TWh) Strom liefern soll, also 15-mal mehr als heute. Die in der bundesrätlichen Botschaft zum Mantelerlass vorgesehenen Zielwerte für die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien sind aus Sicht von Swissolar zu tief angesetzt, um einerseits die Versorgungssicherheit und andererseits das Netto-null-Ziel 2050 zu erreichen. Statt 39 TWh Produktion im Jahr 2050 sollten 50 TWh anvisiert werden, wovon eben 45 TWh aus Photovoltaikanlagen stammen sollten. Dieser Wert entspreche weniger als der Hälfte des Solarpotenzials in der Schweiz, erklärt Swissolar.
11-Punkte-Programm
Um die Ausbauziele zu erreichen, schlägt Swissolar sein 11-Punkte-Programm vor, das verschiedene bekannte Forderungen der letzten Jahre umfasst. Im direkten Bezug zum Mantelerlass steht vor allem die Forderung nach einer Erhöhung des Netzzuschlags um 0,5 Rappen pro Kilowattstunde sowie nach einer einheitlich geregelten Abnahmevergütung, die sich nach dem Marktpreis richtet, aber gleichzeitig eine Untergrenze aufweist, entsprechend einem minimalem Rückliefertarif. Wie Jürg Grossen am Medienanlass zum Programm ausführte, will Swissolar seine Forderungen möglichst im Rahmen der bestehenden Förderungsmittel für Photovoltaik stellen und keine grossen Systemänderungen anstossen. Dies einerseits, um Planungssicherheit zu gewährleisten, andererseits aber auch, um einfacher politische Mehrheiten gewinnen zu können. Man werde laufend beurteilen müssen, ob beispielsweise eine Erhöhung des Netzzuschlags politisch möglich sei oder ob dies die Vorlage insgesamt überlade und damit gefährde, führte Grossen aus. Es sei aber wichtig, dass es nicht erneut zu einer Warteliste bei der Einmalvergütung komme, und darum brauche es entsprechend mehr Mittel. Gute Chancen sieht Grossen bezüglich einer geregelten Untergrenze bei der Abnahmevergütung. Sie könnte gemäss seinen Vorstellungen beispielsweise auf der Höhe des Energiepreises liegen, den der jeweilige Versorger von den Kunden für Solarstrom verlangt. Das sei mit einer kleinen Gesetzesanpassung möglich.
Mehr ZEV für die Schweiz
Eine wichtige Anpassung fordert Swissolar auch bezüglich Zusammenschlüssen zum Eigenverbrauch (ZEV). Diese sind nach heutigem Recht auf physische Leitungsverbindungen angewiesen, unter Ausschluss des öffentlichen Netzes. Die heutige Technik würde es aber erlauben, einen ZEV zu betreiben, ohne zusätzliche Kupferkabel zu verlegen. Mit lokalen Energiegemeinschaften, wie es sie bereits in anderen europäischen Ländern gibt, würden Anreize zum Bau von PV-Anlagen mit lokalem Eigenverbrauch gesetzt – ohne zusätzliche Fördergelder und ohne Notwendigkeit teurer Netzausbauten, betont Swissolar. Deshalb fordert der Verband, dass solche Quartierstromlösungen im Mantelerlass aufgenommen werden.
Pflicht oder nicht?
Einen Schwenker macht Swissolar bezüglich der Forderung nach einer Solarpflicht. Noch im vergangenen Jahr betrachtete der Verband diese Forderung kritisch, beispielsweise im Rahmen der von der SSES mit lancierten Berner Solarinitiative, die eine solche Pflicht auch bei Bestandesbauten fordert. Geschäftsführer David Stickelberger sagte vor den Medien, dass Swissolar seine Haltung geändert habe, weil inzwischen immer klarer werde, dass ohne Verpflichtung viele Dächer für PV bei der Sanierung verloren gingen. Deshalb schlägt nun auch Swissolar vor, in sämtlichen Kantonen eine Pflicht zur Nutzung aller geeigneten Flächen auf Neubauten und Sanierungen einzuführen. Es brauche in den MuKEn 2025 eine Bestimmung, wonach bei grösseren Umbauten die gesamten geeigneten Dächer und Fassaden für Solarenergie genutzt werden müssten. Wie schwer es die Forderung nach einer Solarpflicht hat, zeigte sich einerseits vor Kurzem im Kanton Bern, aber auch auf Bundesebene. So lehnte das Berner Kantonsparlament, der Grosse Rat, in der Beratung des neuen Energiegesetzes die Solarpflicht mit einer Stimme Unterschied ab. Allerdings wird sich das Berner Kantonsparlament spätestens bei der Behandlung der inzwischen eingereichten Solarinitiative noch einmal mit der Solarpflicht befassen müssen. Auf Bundesebene hatte eine Solarpflicht schon nur bei Neubauten im Bundesrat einen schweren Stand gehabt, wie verschiedene Medien berichteten. Bundesrätin Simonetta Sommaruga hatte eine Solarpflicht für Neubauten vorgeschlagen, wie die Zeitungen der CH-Media und der «Blick» aus einem vertraulichen Bericht zitierten. In der aktuellen Vernehmlassungsvorlage zum neuen Energiegesetz ist diese Pflicht nicht explizit enthalten. Bundesrätin Sommaruga erklärte, dass die Regierung das Thema einer Solarpflicht aber im Rahmen dieser Vernehmlassung klären wolle. Dies gemäss der Forderung der Motion Bourgeois. Der Nationalrat hat diese Motion im September 2021 mit 191:1 Stimme angenommen. Sie fordert, dass der Bund gemeinsam mit den Kantonen dafür sorgt, dass die Dächer aller Neubauten für Solarenergie genutzt werden.
Greenpeace will den «Solar-Sprint»
Greenpeace hat, um ihre Forderungen nach einem beschleunigten Solarausbau zu unterstreichen, eine Studie für ein Gesamtenergieszenario für die Schweiz in Auftrag gegeben. Der Schluss, zu dem die Studie kommt, ist nicht neu, aber einmal mehr sehr eindeutig. Mit einer Ausrichtung auf einen verstärkten Zubau der erneuerbaren Energien kann das Parlament nicht nur die Stromversorgungssicherheit verbessern, sondern auch rasch die Weichen für mehr Klimaschutz stellen. Denn der Umbau des Schweizer Energiesystems auf 100% erneuerbar, wie ihn die SSES seit Jahrzehnten fordert, ist wesentlich, um die Klimakrise einzudämmen. Nur wenn der Verbrauch von fossilen Brennstoffen beendet werden kann, sind die Klimaziele von Paris erreichbar. Konkret fordert Greenpeace vom Parlament, dass im Energiegesetz das Ausbauziel für die Produktion von Elektrizität aus erneuerbaren Energien, ausser Wasserkraft, deutlich höher sein muss als vom Bundesrat vorgeschlagen. Mit dem «Solar-Sprint» sollen bis 2035 mindestens 38 TWh statt der vorgesehenen 17 TWh aus neuen erneuerbaren Energien – vornehmlich Photovoltaik – stammen, wie es im Papier von Greenpeace heisst. «Die Schweiz muss einen ‹Solar-Sprint› hinlegen. Ein stark beschleunigter Ausbau der Photovoltaik ist der Schlüssel für eine sichere und klimaverträgliche Energieversorgung. Hier haben wir enormen Nachholbedarf», sagt Georg Klingler, Energie- und Klimaexperte bei Greenpeace Schweiz. Mit einer verstärkten Nutzung der Sonne könnten die hohen CO2-Emissionen aus Verkehr, Gebäude und Industrie auf netto null gesenkt werden. Dafür brauche es weder neue Gaskraftwerke noch verlängerte Laufzeiten für die bestehenden Atomkraftwerke und schon gar keinen Ausbau der Atomenergie. Mit dem «Solar-Sprint» müsse bereits bis 2025 der Ausbau der Photovoltaik massiv beschleunigt werden. Im Endausbau wird die Photovoltaik gemäss dem Greenpeace-Szenario mehr zur Energieversorgung beitragen als die Wasserkraft. So liessen sich bis 2030 die CO2-Emissionen des gesamten Energiesystems der Schweiz um 60% und bis 2035 um 90% im Vergleich zu 1990 senken, ohne dabei die Biodiversität zu gefährden.
Gut gegen die Lücke
Zudem ist für Greenpeace klar: Je schneller der Ausbau der Photovoltaik erfolgt, desto früher könnten die seit Jahren auftretenden Stromversorgungsdefizite im Winter reduziert werden. «Die derzeitige Stromknappheit im Winter ist darauf zurückzuführen, dass die Schweiz bislang den Ausbau der erneuerbaren Energien verschlafen hat», sagt Klingler. Bei einem Vollausbau der Photovoltaik im Jahr 2050 besteht kein Winterdefizit mehr. Stattdessen entstehen massive Stromproduktionsüberschüsse im Sommer, die für die Herstellung von Wasserstoff und synthetischen Brenn- oder Treibstoffen gebraucht werden können. Damit lassen sich schwer elektrifizierbare Anwendungen in der Industrie und im Verkehr mit klimafreundlicher Energie versorgen. «Die durch den Solarausbau anfallenden Sommerüberschüsse tragen ganz entscheidend dazu bei, dass die Dekarbonisierung gelingen kann», sagt Klingler.
VSE will «moderaten» Umweltschutz
Hinsichtlich des Beginns der Debatte des Mantelerlasses in der UREK hat sich auch der Branchendachverband der Schweizer Stromwirtschaft VSE geäussert. Die Vorlage sei für die Stromversorgungssicherheit von grösster Bedeutung. Auch der VSE hat seine Forderungen an das Parlament noch einmal vorgebracht. Seine Vorschläge nennt er «Roadmap Versorgungssicherheit». Auch hier stehen die erneuerbaren Energien im Vordergrund, der Schwerpunkt liegt aber nicht explizit auf der Solarenergie, sondern auf der Winterproduktion. Hier stehen für den VSE neben alpiner Photovoltaik Wind, Biomasse und Wasserkraft im Vordergrund. Nicht unter den zehn wichtigsten Forderungen des VSE befindet sich die Optimierung der dezentralen Photovoltaik für die Winterproduktion auch mittels maximaler Flächennutzung, obschon diese Möglichkeit in der Roadmap beschrieben ist. Weitere Punkte, die der VSE fordert, sind die Interessenabwägung bei Energieprojekten – sei es in der Grosswasserkraft oder in der Windenergie – und eine «moderate Umsetzung» von Umwelt- und Gewässerschutzvorschriften. Die Landesregierung scheint diese Bedenken gehört zu haben und will nun die Verfahren für die bedeutendsten Wasserkraft- und Windenergieanlagen beschleunigen. Dies allerdings entgegen der Forderungen des VSE «ohne Abstriche beim Natur-, Umwelt- und Denkmalschutz zu machen». Weitere Diskussionen sind hier also vorprogrammiert.
Die Debatte geht intensiv weiter
Die UREK des Ständerates wird sich an ihren nächsten Sitzungen eingehend mit dem Mantelerlass befassen und erst nach Abschluss ihrer Beratungen über ihre Beschlüsse informieren. Der Bundesrat hat den nächsten Schritt schon eingeleitet und will gemäss der aktuellen Vernehmlassung zum Energiegesetz nicht nur bei der vereinfachten Planung, sondern auch bei der Solarenergie weiter vorankommen. Neben den Abklärungen einer Solarpflicht geht es dabei insbesondere um neue steuerliche Anreize. Der Bundesrat schlägt vor, dass Investitionen in Photovoltaikanlagen auch bei Neubauten steuerlich abzugsfähig werden sollen. Heute sind die Kosten nur bei Sanierungen, nicht aber bei Neubauten abzugsfähig. Weiter will der Bundesrat die Zulassung von Solaranlagen an Fassaden vereinfachen. Für Fassaden soll ein Meldeverfahren genügen, wobei die Kantone in Schutzzonen weiterhin eine Bewilligungspflicht vorsehen können. Die Vernehmlassung zu diesen neuen Vorschlägen dauert bis am 23. Mai 2022.
www.greenpeace.ch/energieversorgung
www.vese.ch/werkzeugkasten-ruckliefertarife/
www.swissolar.ch/topthemen/zukunft-der-energieversorgung/