Ein Gespräch zwischen dem Schweizer Solarpionier Josef Jenni und dem Sonnenhaus-Institut e.V. (SHI) über aktuelle Fehlentwicklungen in der Energiewende. Das Gespräch wurde zwischen dem Vorstand des SHI und Josef Jenni als online-Konferenz geführt
Sonnenhaus Institut e.V.
Zur Person: Josef Jenni
1989 baute der Diplom-Ingenieur mit seiner Jenni Energietechnik AG das erste vollumfänglich mit Sonnenenergie versorgte Wohnhaus Europas. 2007 folgte das erste vollständig solarbeheizte Mehrfamilienhaus Europas. Hierfür wurde die Jenni Energietechnik 2009 beim Energy Globe Award für die Schweiz mit dem National Award ausgezeichnet. Für sein Lebenswerk zugunsten der Solarenergie wurde Josef Jenni 2008 zudem vom Schweizer Bundesamt für Energie mit dem Preis Watt d’Or ausgezeichnet.
Sonnenhaus-Institut e.V.
Das Sonnenhaus-Institut e.V. (interne Abkürzung SHI) ist ein Netzwerk mit dem Ziel, die Entwicklung und Verbreitung weitestgehend solar beheizter Gebäude voranzutreiben. Die Mitglieder teilen ihr Wissen in Seminaren und Vorträgen. In Zusammenarbeit mit anderen Institutionen wirken sie bei Forschungsprojekten mit. Der Verein wurde 2004 im Bayerischen Straubing gegründet. Er wurde 2016 mit dem Deutschen Solarpreis ausgezeichnet.
Herr Jenni, Sie sind ein Pionier der Sonnenhaus-Technik in der Schweiz und darüber hinaus sowie eines unserer richtungsweisenden Mitglieder im Sonnenhaus-Institut e.V. Mit Ihrer Jenni Energietechnik AG beschäftigen Sie rund 70 Mitarbeiter. Wie geht es Ihren Geschäften?
Josef Jenni: Unsere Geschäfte laufen sehr gut. Wir sind insgesamt gut durch die schwierige Corona-Phase gekommen. Die momentane Verknappung auf den Rohstoffmärkten ist eine Bedrohung für alle. Durch eine relativ gute Lagerhaltung bei Stahl und Fertigteilen haben wir auch das bisher gut überbrückt. Allerdings verlagern sich unsere Aufträge seit einiger Zeit weg von der Solarthermie und der thermischen Versorgung von Wohngebäuden. Das ist eine Entwicklung, die ich energiewirtschaftlich und politisch sehr kritisch sehe. Was die Energiewende betrifft, kommen bei uns in der Schweiz Dinge wie eine galoppierende Bürokratisierung und die administrative Behinderung kleiner, innovativen Betrieben durch größere Marktteilnehmer.
Sie sind nicht nur Ingenieur und Unternehmer sondern auch politisch sehr aktiv. Sie waren 2006 bis 2012 Mitglied im Großen Rat der Schweiz und haben 2019 für den Schweizer Nationalrat kandidiert. Aber Sie erheben auch ausserhalb von politischen Gremien Ihre Stimme und versuchen hier Ihre Sachkenntnis für eine effiziente Energiewende einzusetzen.
Ja, unbedingt versuche ich das! Vor drei Jahren habe ich mit einer Veröffentlichung viel Aufregung verursacht: «Wird die Schweiz im Winter zum Stromarmenhaus?»
Man kann sich vorstellen, welches Unruhepotential allein der Begriff «Armenhaus» in der reichen Schweiz entfacht. Worum ging es?
Für die Energiewende wollen und müssen wir ständig mehr grünen Strom für den Verkehr, die privaten Haushalte und industrielle Prozesse bereitstellen. Aber es verbreitet sich der Irrglaube, alle Energieprobleme mit PV-Strom lösen zu können. Der stark voranschreitende Ausbau des strombasierten Heizens mit Wärmepumpen und sogar Direktstromheizungen führt uns in ein großes Dilemma. Es ist völlig klar, dass dadurch in den Wintermonaten enorme Verbrauchsspitzen durch das Heizen auf uns zukommen. Gleichzeitig steht im Winter oft zu wenig regenerativer Strom zur Verfügung. Gegen diese Fehlentwicklung hilft selbst ein massiver Zubau der Photovoltaik allein relativ wenig.
Wir bewegen uns also in eine paradoxe Lage hinein: Wenn die Anwendung von Photovoltaik zu grundsätzlich vermehrtem Einsatz von Strom führt, kann dieser Mehrbedarf zu einem großen Teil nur wieder fossil oder nuklear thermisch bereitgestellt werden. Das kann nicht Sinn und Ziel unserer Energiewende sein! Mit meinem Aufsatz wollte ich Aufmerksamkeit für diese Problematik wecken und Lösungen skizzieren.
Wie sehen Ihre Lösungen aus?
Solarthermie ist hier neben anderen Punkten ein ganz wichtiger Baustein. Sie ist nach meiner Überzeugung im Übrigen die sanfteste, umweltschonendste und effizienteste Technologie. Wärme wird als Wärme erzeugt, als Wärme gespeichert und als Wärme verbraucht. Solarthermie muss in der Nähe des Wärmebedarfs, also zum Beispiel auf dem Dach von Gebäuden eingesetzt werden. Die Wärme kann relativ einfach bis saisonal lokal gespeichert werden. Durch den Einsatz von Solarthermie kann indirekt sehr viel Strom eingespart werden. Die Energiewende ist deshalb vor allem auch eine Wärmewende.
Welchen Erfolg hatten Sie mit diesem Papier?
Ja also die Wellen haben wirklich hoch geschlagen! Die Vizedirektorin des Schweizer Bundesamtes für Energie hatte an meiner Publikation gar keine Freude. Aber heute, drei Jahre später, vertritt sie genau die gleiche Meinung! In der Schweiz ist die Debatte bis heute spürbar.
Allerdings ist das Problem trotzdem noch lange nicht gelöst. Ich überlege zurzeit, noch einmal aktiv zu werden, denn das Problem verschärft sich sogar. Und die Schweiz hat kein Strommarktabkommen. Die Debatte ist in den Medien heute hochaktuell.
Im Prinzip sehen wir für Deutschland eine ähnliche Problematik. Seit 2021 ist es im Gebäudebereich gar keine Frage mehr, ob Strom oder Wärme gefördert wird. Die Höhe der Zuwendungen richtet sich nur noch nach einer eher abstrakten Gesamtjahres-Effizienz von Gebäuden und im Ergebnis werden noch mehr Wärmepumpen verkauft als vorher. Dass wir im Winter oft zu wenig regenerativen Strom haben, steht auf einem völlig anderen Blatt. Erschwerender kommt hinzu, dass die Arbeitszahl von Luftwärmepumpen bei sehr niedrigen Temperaturen gegen Eins tendiert, was die Stromlast durch heizen um den Faktor 2 bis 3 erhöht. Das wird den Versorgungsengpass zusätzlich verschärfen.
Die Stromkonzerne wollen von einem bevorstehenden Problem wenig wissen, wie kürzlich in einem Artikel im Wirtschaftsteil der ZEIT (09.September 2021) zu lesen war. Der Tenor lautete verkürzt: «Der Staat muss die überlangen Genehmigungsprozesse von Stromtrassen und Windparks dringend beschleunigen, um den Rest kümmern wir uns dann schon.»
Wir vom SHI glauben aber, dass wir mit dieser Entwicklung in eine neue Abhängigkeit hineingeraten werden. Als Anhänger des Sonnenhaus-Prinzips verfechten wir den gegensätzlichen Gedanken der Autarkie. Energetisch möglichst unabhängig zu werden, sollte ein wichtiges Ziel eines Landes wie auch des Einzelnen sein.
Es ist richtig: Deutschland und die Schweiz stehen – wie auch alle Nachbarländer – vor dem gleichen Problem. Selbst wenn wir versuchen würden, bei Engpässen den fehlenden Strom einfach zu importieren, ist das keine Lösung. Denn die anderen Nachbarn haben teilweise noch eine viel größere Abhängigkeit. Auch das habe ich in meinem Aufsatz gezeigt.
In Frankreich wird traditionell viel mit Strom geheizt, was überhaupt nur durch den massiven Ausbau der Kernenergie möglich war. In kalten Phasen ist die Stromsituation in Frankreich mitunter kritisch. Österreich und Italien sind ohnehin Importeure von Strom bei Engpässen. Aus anderen Ländern beziehen wir dann für unsere Energiewende evtl. sogar Strom aus alten Kohlekraftwerken.
Unabhängig davon plädiere ich, dass die Schweiz und Deutschland Ihre Probleme vorwiegend im eigenen Land lösen sollten, das ist volkswirtschaftlich mit Abstand das Beste. Die absolut überlebenswichtige Energiewende generiert viele sinnvolle Arbeitsplätze und ein großer Teil der Wertschöpfung bleibt bei uns.
In der Politik scheint zwar hier langsam die Erkenntnis anzukommen, dass wir trotz Energiewende in Zukunft mehr Strom brauchen werden und nicht weniger. Aber von den erforderlichen Weichenstellungen sind wir weit entfernt.
Überall, wo wir beraten dürfen, versuchen wir den Leuten zu erklären: alles mit Wärmepumpe zu heizen ist keine Lösung, sondern führt in die Energiearmut. Aber da durchzudringen ist ein Problem. Stattdessen hören wir oft: «Was wollt ihr noch mit der Solarthermie? Strom und PV sind doch so günstig und für alles nutzbar!»
Im Prinzip kann es noch 10 Jahre dauern, bis das Problem richtig durchschlägt. Aber dann wird es natürlich zu spät sein, um kurzfristig gegenzusteuern. Und auch das schlechte Lastbild der strombasierten Heizungen wird dann noch nicht einmal auf die Betreiber zurückfallen. Weil die Kosten dann nach unserer Einschätzung auf alle sozialisiert werden, damit man sich den Ärger erspart. Unter dem Vorwand einer sozialen Abfederung der Energiewende könnte es an die Allgemeinheit verteilt werden.
Wir können – auch gemeinsam – nur weiter versuchen, diese Zusammenhänge in unseren Ländern aufzuzeigen, um ein Problembewusstsein zu schaffen und bessere Lösungen – wie das Sonnenhaus – zu erklären.