SubPagesTopPicture

Alternativen sind bereits heute am Netz

AM 27. NOVEMBER WIRD DAS SCHWEIZER STIMMVOLK DARÜBER ABSTIMMEN, OB DIE SCHWEIZ GEORDNET UND MIT FIXEN ABSCHALTDATEN AUS DER KERNKRAFT AUSSTEIGEN SOLL. DAMIT WÜRDEN DIE DREI KLEINSTEN UND ÄLTESTEN WERKE BEREITS 2017 VOM NETZ GEHEN. AKTUELLE ZAHLEN ZEIGEN, DASS DEREN STROMPRODUKTION BEREITS HEUTE SPIELEND DURCH NEUE ERNEUERBARE ENERGIEN ERSETZT WERDEN KANN.

ANTEIL IMPORTE
Tatsächlich importiert die Schweiz schon heute den grössten Teil der hier verbrauchten Energieträger. 2015 lag der gesamte Energieverbrauch in der Schweiz laut dem Bundesamt für Energie bei 232 878 GWh. Mehr als die Hälfte davon, nämlich 117 894 GWh, wurden in Form von Erdölprodukten importiert. Weitere 31 369 GWh wurden in Form von Gas importiert. Auf den Bereich der Elektrizität entfielen im Jahr 2015 58 247 GWh, die komplett im Inland produziert wurden. Die theoretische Jahresproduktion der drei kleinen KKW in Beznau und Mühleberg liegt laut swissnuclear bei 9100 GWh, gemäss der Umweltallianz betrug diese 2015 aber lediglich 5500 GWh. Selbst wenn diese Elektrizität komplett importiert werden müsste, würde der Importanteil gemessen an allen Primärenergieträgern nur um 6 bis 4% ansteigen – wenn man nicht den aus importiertem Uran hergestellten Strom so oder so schon zu den Importen zählt.

Teil der Energiestrategie 2050 ist die Abkehr von der Kernenergie. Dies allerdings ohne die Laufzeiten der Kraftwerke politisch festzulegen. Vielmehr ist es die Stra- tegie des Bundesrates, die Kernkraftwerke so lange am Netz zu belassen, wie das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI diese für sicher erachtet. Daran will der Bundesrat festhalten, weshalb er auch die Atomausstiegsinitiative, über die das Stimmvolk am 27. November abstimmt, bekämpft. Die Initiative will die Laufzeiten der Kraftwerke verbindlich festlegen, und zwar auf 45 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme. Damit müssten die Kraftwerke Mühleberg sowie Beznau I und II bereits nächstes Jahr vom Netz genommen werden. «Wir würden dann einfach noch mehr Strom aus Europa importieren», so Leuthard. Dies wäre dann nach Ansicht des Bundesrates zu einem grossen Teil Kohlestrom und europäische Kernenergie. «Das würde mir ziemlich unehrlich erscheinen», so Leuthard. Das Argument, dass man für eine Abschaltung der ältesten Kernkraftwerke nicht bereit sei, lassen Vertreter der Umweltallianz nicht gelten. «Biomasse, Sonne und Wind haben 2015 die durchschnittliche Produktion von Beznau I übertroffen. Per August 2016 haben so viele Anlagen von der KEV grünes Licht erhalten, dass auch Beznau II hinfällig wird», fasst Markus Allemann, Co-Geschäftsführer Greenpeace Schweiz, die neuesten Zahlen zusammen. Mit den Projekten auf der KEV-Warteliste würden auch Mühleberg und die Hälfte der Produktion des AKW Gösgen überflüssig.

BEREIT FÜR DIE WENDE

Das Beratungsunternehmen Energie Zukunft Schweiz hat die Investitionen von Schweizer Energieversorgern und institutionellen Anlegern in erneuerbare Energien in unseren Nachbarländern untersucht: Hier wurden schon so viele Kraftwerkskapazitäten hinzugekauft, dass damit bereits heute die Produktion der Hälfte der Schweizer Kernkraftwerke er- setzt wird. Konkret: In den letzten rund fünf Jahren wurde im Ausland in Anlagen investiert, die pro Jahr mehr als 6500 GWh Energie aus neuen erneuerbaren Quellen liefern. Ein grosser Teil dieser Investitionen von rund sieben Milliarden Franken floss in Windkraftanlagen in Nachbarländern. Die Investitionen fanden wohl auch deswegen im Ausland statt, da bei uns nur eine beschränkte Anzahl von Pro- jekten von einer KEV-Förderung pro tie- ren können. Energie Zukunft Schweiz geht davon aus, dass auch in Zukunft im Ausland mehr Investitionen getätigt wer- den. «Bei diesem Investitionstempo wer- den in ungefähr sechs Jahren alle Schwei- zer Kernkraftwerke durch erneuerbare Energie ersetzt sein», sagt Aeneas Wanner, Geschäftsleiter von Energie Zukunft Schweiz.

ÜBERANGEBOT OHNE BEZNAU

PREISENTWICKLUNG
Nicht nur, dass die Technologie für den Ersatz von Kernkraftwerken bereits vorhanden ist, sie wird auch noch immer kostengünstiger. Die Gestehungskosten von Solar- und Windstrom sind in den letzten Jahren massiv gesunken und liegen zurzeit teilweise schon bei rund 10 Rp./kWh. Auf die Entwicklung der Strompreise, welche in den letzten Jahren massiv gesunken sind, haben die erneuerbaren Energien aber nur bedingt Einfluss. Zwar stimmt es, dass durch die Grenzkosten nahe null bei der Photovoltaik der Strompreis unter Druck kam. Einen viel grösseren Einfluss hat aber die Überkapazität des Stromangebotes in Deutschland. Den Strompreis unter Druck gesetzt haben vor allem die Kohlekraftwerke: Besonders dank den praktisch nichts mehr kostenden CO2-Zertikaten und den abgeschriebenen Kraftwerken rentiert es sich, diese auch dann laufen zu lassen, wenn eigentlich genug Strom auf dem Markt vorhanden wäre. Laut der SES hat dies dazu geführt, dass der Exportsaldo in Deutschland von 6000 GWh im Jahr 2012 auf 52 000 GWh im Jahr 2015 angestiegen ist. Das ist mit ein Grund für die tiefen Strompreise, die in der Schweiz nicht nur den neuen erneuerbaren Energien, sondern vor allem auch der Grosswasserkraft das Leben schwer machen. In der Energiestrategie 2050 sieht das Parlament vor, die Grosswasserkraft mit einer Marktprämie zu stützen. Gehen die KKW vom Netz und wird damit das Angebot etwas verknappt, müsste nach den Gesetzen des Marktes der Strompreis wieder steigen, was eine direkte Unterstützung der Wasserkraftwerke wäre. Diese könnten so ihre Investitionen auch besser planen.

Ein Lichterlöschen in der Schweiz wird es auch dann nicht geben, wenn die drei kleinsten Kernkraftwerke wie von der Initiative gefordert 2017 vom Netz gehen müssten. Dies hat sich im Verlaufe dieses Jahres gezeigt. Nachdem Beznau I aus Sicherheitsgründen seit Längerem stillsteht, muss auch das jüngste AKW der Schweiz in Leibstadt seit der Revision länger pausieren als ursprünglich angenommen. Dies weil man Oxidationen an Brennstäben festgestellt hat. Zu Schwierigkeiten in der Stromversorgung haben diese Ausfälle nicht geführt, die Schweiz kann ohne Atomkraft mit ausreichend Strom versorgt werden. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie der ETH Zürich im Auftrag der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften von 2014. Andreas Ulbig, Co-Autor der Studie und Mitarbeiter am Power Systems Laboratory der ETH Zürich, sieht die Machbarkeit des geordneten Atomausstiegs bestätigt: «Unsere Arbeit hat gezeigt, dass der Ersatz der Atomkraftwerke mit erneuerbaren Energien möglich ist. Ob der Ausstieg bis 2035 – wie in der Studie modelliert – oder bis 2029 stattfindet, spielt eine untergeordnete Rolle.»

BESTE VORAUSSETZUNGEN

Kaum ein anderes Land habe bessere Voraussetzungen für eine erneuerbare Stromversorgung als die Schweiz. «Rund 60% unserer Stromversorgung liefert heute schon die einheimische Wasserkraft, die Hälfte davon ist Speicherkraft. Das ist die perfekte Ergänzung zu Solar- und Wind- kraft: Die in den Stauseen gespeicherte Energie steht dann zur Verfügung, wenn Solar- und Windkraftwerke wenig oder gar nicht produzieren», hält Felix Nipkow, Projektleiter Strom und Erneuerbare Energien SES, fest. Gleichzeitig kann mit Effizienzmassnahmen der Verbrauch gesenkt werden. Dank der Steigerung der Energieefizienz ist die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch Realität geworden. «Experten gehen davon aus, dass diese Entwicklung auch in Zukunft Bestand haben wird», so Nipkow. Nebst der Wasserkraft stehen der Schweiz noch weitere Quellen zur Verfügung. Ende 2015 machte die Nutzung von Sonne und Windkraft erst rund 2% der Stromproduktion aus. Das Potenzial ist aber weitaus grösser. Wenn nur die Hälfte aller gut geeigneten Dach- und Fassadenflächen für Photovoltaik genutzt werden, lässt sich darauf ein Viertel des Schweizer Stromverbrauchs produzieren. Die von Gegnern der Energiewende geschürte Angst, dass sämtliche historischen Gebäude mit PV- Anlagen bedeckt werden müssten, ist angesichts dieser Tatsache unbegründet.

ZUBAU SCHREITET VORAN

Der Zubau an PV-Anlagen war zudem in den letzten Jahren deutlich grösser, als er vom Bundesamt für Energie im Rahmen der Energiestrategie 2050 vorgesehen war. Wie Daniel Büchel, Vizedirektor des Bundesamtes für Energie, vor den Medien in Bern erklärte, wird das Ziel von mindestens 4400 GWh bis 2020 beim heutigen Tempo des Zubaus spielend erreicht werden. Zwar ist der Zubau bei der Windenergie nicht so gross wie erwartet, dafür ist er bei der Sonnenenergie umso grösser. Jeden Monat werden gut 800 Anlagen bei der KEV angemeldet. Setzt sich dieser Trend fort, stehen bis 2029 mehr als genügend Anlagen bereit, um den Atomstrom aller fünf AKW zu ersetzen.

SPEICHERUNG

Nachdem Studien von ETH, EZS und BFE gezeigt haben, dass eine 100%-Versorgung mit erneuerbaren Energien auch zeitnah möglich wäre, bleibt die Frage, wie die Speicherung erfolgen soll. Über den Tagesverlauf gesehen können kleine, dezentrale Speicher für den notwendigen Puffer sorgen. Da Solaranlagen im Mittelland im Sommer rund doppelt so viel Strom wie im Winter produzieren und gleichzeitig der Verbrauch in der Schweiz, auch wegen Wärmepumpen und Elektroheizungen, im Winter höher ist, braucht es auch eine saisonale Speicherung, beispielsweise in den bereits vorhandenen Speicherseen. Praktisch erprobt wird auch die Speicherung in Form von Wasserstoff, Druckluft oder Salzbatterien. Um den Winterbedarf abzudecken, wird es Windkraft, Biomassekraftwerke und Geothermie brauchen, sowie eine Steigerung der Stromeffizienz. Oder auch einen Ausbau der Photovoltaik im Alpenraum, denn hier kann in der kalten Saison praktisch gleich viel Strom produziert werden wie im Sommer.

SCHÄDLICHE IMPORTE?

Bei einer Annahme der Initiative muss je nach Ausbaugeschwindigkeit der erneuerbaren Energien möglicherweise kurzfristig vor allem in einem kalten Winter Strom importiert werden. Doch ist das so «unehrlich», wie Frau Leuthard meinte? Zum Vergleich: Gemäss den Zahlen des Bundesamtes für Statistik deckte die Schweizer Landwirtschaft im Jahre 2013 energiemässig 58% des inländischen Nahrungsbedarfs ab. Die für die Heizungen und Mobilität verwendeten Energieträger Öl und Gas werden zu 100% importiert. Warum dann nicht für einen gewissen Zeitraum Strom importieren, zumal dieser mit aus der Schweiz finanzierter Windkraft oder Wasserkraft erzeugt wurde? Genauso könnte man es als unehrlich bezeichnen, wenn man Kernkraft zur inländischen Produktion zählt. Der Strom wird zwar hier produziert, aber mit importiertem Uran, dessen Gewinnung und Aufbereitung nicht nach Schweizer Standards geschieht und in den Ursprungsländern zu erheblichen Umweltschäden führt. Bei einer Zustimmung zur Ausstiegsinitiative gingen in der Schweiz weder die Lichter aus, noch würde der Strom «dreckiger» produziert – im Gegenteil: Dank den in den letzten Jahren getätigten Investitionen der Energieversorger und der institutionellen Anleger hätten wir genug sauberen Strom aus dem Ausland, auch gäbe uns eine Annahme endlich die not- wendige Sicherheit und den Schub, den Umbau der Energieversorgung an die Hand zu nehmen.