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«Alpine Solaranlagen sind in erster Linie auf bereits vorhandener Infrastruktur zu installieren»

Foto: EWZ

Die SSES begrüsst den forcierten Ausbau der Solarenergie, grundsätzlich auch den Bau alpiner Solaranlagen. Allerdings darf dies aus Sicht der SSES nicht zulasten der Natur gehen. Auch darf die Bedeutung alpiner Anlagen für die Versorgungssicherheit nicht überschätzt werden. Walter Sachs, Präsident der SSES, erklärt im Interview, warum diese Anlagen kritisch betrachtet werden. Dies vor allem auch vor dem Hintergrund, dass der Solarausbau in den letzten Jahrzehnten verschlafen wurde.

Interview: Beat Kohler

Zur Person

Walter Sachs ist seit 2017 Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie (SSES). Zudem ist er Präsident des Verbandes unabhängiger Energieerzeuger (VESE) und Geschäftsleitungsmitglied der Solar Campus GmbH.

Die SSES hat sich kritisch zum Solarexpress des Parlaments geäussert. Schaffen wir die Energiewende kurzfristig auch ohne die geplanten Freiflächenanlagen im alpinen Raum?

Walter Sachs: Die SSES wird in einem Jahr 50 Jahre alt. Das heisst, schon vor 50 Jahren hat man sich mit der Frage der Energiewende beschäftigt. Seit dieser Zeit weisen wir auf die Notwendigkeit einer nachhaltigen Energieversorgung mit erneuerbaren Energien hin. Nur hat uns kaum jemand zugehört, und jetzt muss es plötzlich schnell gehen, sehr schnell. Hier müssen sich die Politiker schon die Frage gefallen lassen, ob es nicht schneller gehen würde, die 2 TWh Produktion im Mittelland zuzubauen – denn auch hier haben wir 30–35 % Winteranteil an der Stromproduktion. Beim jetzigen Zubau von 1 TWh pro Jahr müsste man diesen verdoppeln, und innerhalb von zwei Jahren wären die 2 TWh zusätzlich zugebaut – umweltverträglich und kostengünstiger auf bestehenden Infrastrukturflächen und Hausdächern. Die Frage dahinter ist aber viel mehr, ob wir so kurzfristig genügend Fachleute finden, die diesen Zubau stemmen können. Hier hätte man viel früher beginnen müssen. Die SSES weist seit vielen Jahren auf den drohenden Fachkräftemangel hin und hat vor einigen Jahren auch die ersten Impulse für eine berufliche Ausbildung gegeben.

Unter welchen Bedingungen sind für Sie Anlagen im alpinen Raum vorstellbar oder sinnvoll? Was müsste dafür erfüllt sein?

Hier zitiere ich gerne aus dem Positionspapier der SSES zu alpinen Anlagen: ‹Die SSES steht grundsätzlich hinter der Idee, hochalpine Solaranlagen für die Stärkung der Energiewende und speziell auch der Winterstromproduktion zu erstellen, wehrt sich aber gegen die Lockerung von Umweltgesetzen. Die Schweizer Landschaft und Natur steht bereits jetzt vor grossen Herausforderungen und darf nicht weiter unter Druck gesetzt werden. Alpine Solaranlagen sind deshalb in erster Linie auf bereits vorhandener Infrastruktur zu installieren. Erst nach Ausschöpfen dieses Potenzials sollen erschlossene Freiflächen (d. h. Zufahrt und Stromversorgung sind vorhanden, keine Schutzgebiete) allenfalls für einen weiteren Ausbau in Erwägung gezogen werden.› Auch muss die Verhältnismässigkeit gesehen werden: Die maximal geplanten 2 TWh entsprechen rund 3,3 % des jetzigen Stromverbrauchs. 3,3 % Strom einzusparen, ist mit einfachsten Effizienzmassnahmen, wie der optimierten Ansteuerung von Wärmepumpen oder modernen Prozessanlagen in der Industrie, locker zu erreichen.

Im Rahmen des Bundesbeschlusses kam auch der Wasserkraftausbau aufs Tapet. Kann Solarenergie in den Alpen den Wasserkraftausbau teilweise ersetzen, und was halten Sie für verträglicher?

Hier kann ich nur für mich reden. Und für mich masse ich mir nicht an, zu entscheiden, welche Eingriffe in die Natur umweltverträglicher sind. Denn jeder Eingriff schadet der Natur, unserer Umwelt und damit schlussendlich auch unseren Lebensgrundlagen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Wohlstand und Komfort auch mit einem Bruchteil des jetzigen Ressourcenverbrauchs möglich sind. Eine Studie hat ­neulich gezeigt, dass ein in der Filiale des Grossverteilers aufgebackenes Tiefkühlbrötchen den vierfachen Energieverbrauch eines lokal gebackenen Brötchens hat. Was will ich damit sagen? Wir müssen zurückkommen zu regionalen Kreisläufen und Strukturen, die viele Transportwege, Abfälle und Emissionen einsparen. Vor Jahren erzählte mir ein Graubündner Stromversorger in einem Gespräch, dass er in einem Quartier das Netz ausbauen müsse. Grund dafür wären die vielen Elektroautos, namentlich leistungsstarke Teslas. Auf meine Gegenfrage, ob es den Ausbau auch bräuchte, wenn alle kleine, sparsame Autos fahren würden, hat er verblüfft reagiert, kurz nachgedacht und dann gemeint: ‹Nein, dann müssten wir nicht ausbauen.› Dies zeigt einleuchtend, dass wir mit Effi­zienz und vor allem Suffizienz viel erreichen können. Dann müssten wir auch keine Staumauern erhöhen.

Sie kritisieren vor allem auch die vorge­sehene Finanzierung alpiner Solaranlagen. Was stört Sie daran?

Die hohe, einmalige Subventionierung – bis zu 60 % der anrechenbaren Investitionskosten können als Subvention eingefordert werden, bei Maximalausschöpfung reden wir geschätzt von rund drei Milliarden Franken – wird von uns allen bezahlt und ist nicht an irgendwelche Auflagen gebunden. Dabei dient der produzierte Strom nicht unbedingt unserer Versorgungssicherheit, da es weder Vorgaben zur Betriebsdauer, zur Entsorgung der Anlage nach Ende der Nutzungsdauer noch zum Stromverkauf gibt. So ist denkbar, dass bei einem grösseren Schaden an der Anlage, der zum Beispiel im zwölften Betriebsjahr auftritt, die Anlage nicht mehr repariert, sondern stillgelegt wird. Dies, weil die Subvention nicht wie im Ausland an die Produktion, sondern an die Investition gekoppelt ist. Wir hatten dies früher mit der KEV auch anders: Damals wurde man pro kWh Produktion entschädigt, es bestand ein grosses Interesse der Betreiber, die Anlage gut zu warten und am Laufen zu halten, denn ohne Produktion auch kein Geld. Besonders stossend für uns ist aber, dass es keine Auflagen gibt, was mit dem produzierten Strom geschehen soll: Dieser kann frei ins In- wie auch ins Ausland verkauft werden. Bei jetzigen Marktpreisen mit Margen von über 300 %. Und falls der Strom ins Ausland verkauft wird, nutzt er unserer Versorgungssicherheit auch nichts mehr – denn auch wenn der Strom physikalisch gesehen in der Schweiz produziert wird, bestünde doch eine Lieferverpflichtung ins Ausland. Notwendig wäre hier eine Auflage dergestalt, dass der produzierte Strom zu Gestehungskosten in die Grundversorgung eingespeist werden muss. Damit hätten wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Wir hätten Strom im Winter, und wir hätten stabile Strompreise – denn Solarstrom hat, wie alle erneuerbaren Energien, praktisch keine variablen Kosten – dies, weil keine Brennstoffe benötigt werden.

Wie müsste die Finanzierung dieser An­lagen aus Ihrer Sicht ausgestaltet sein?

Solaranlagen haben einmalige Investitionskosten und praktisch keine Betriebskosten. Amortisiert werden können diese Investi­tionskosten nur durch den Stromverkauf über die Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren. Und genau hier ist der Knackpunkt: Niemand kann die Strompreisentwicklung auch nur für die nächsten fünf Jahre voraussagen. Wie soll ein Anlageninvestor hier kalkulieren? Er kann nicht einmal eine Risikoabschätzung machen, da wir mit den Strompreisen an Europa (und auch dessen Politik) gekoppelt sind. Dies führt dazu, dass Dächer eben nicht mit Solaranlagen belegt werden oder eben nur teilweise. Abhilfe schaffen könnte hier das von der SSES und dem VESE propagierte Fixpreismodell: Anstatt einer einmaligen Investitionsbeihilfe bekäme hier der Betreiber einer Solaranlage einen fixen Strompreis für eine Laufzeit über zum Beispiel 20 Jahre. Der Strom würde in die Grundversorgung eingespeist, der Preis von den Konsument/innen abgesichert werden: Liegt der Marktpreis für Strom unter dem fixen, die Gestehungskosten der Anlage widerspiegelnden Preis, so würde der Endverbraucher die Differenz draufzahlen – liegt der Fixpreis jedoch wie zurzeit unter dem Marktpreis, so hätte der Endverbraucher zumindest für den Solaranteil einen fixen, vorteilhaften Strompreis. Nach jahrelanger politischer Arbeit wurden die Vorteile eines solchen Systems auch endlich von der Politik anerkannt. So ist aktuell ein ähnliches Modell im Mantelerlass vorgesehen, was wir sehr begrüssen. Berechnungen unseres Fachverbandes VESE haben gezeigt, dass mit gros­ser Wahrscheinlichkeit alle Vorteile aus einem solchen System ziehen könnten: Der Investor hat sein Investitionsrisiko abgesichert, der Konsument hätte stabile Strompreise. Diese wären, selbst wenn man Langfristspeicherung mit einrechnet, preiswerter als ein Weitermachen wie bisher.

Wo wäre das Geld im Sinne der Energiewende Ihrer Meinung nach besser eingesetzt?

An der Delegiertenversammlung der SSES im Mai hat mich ein Delegierter angesprochen und mir gesagt, er werde jetzt CO2-Kompensation bei myClimate einfordern – auf meine Frage, warum, meinte er, er ­persönlich würde so wenig Energie verbrauchen, dass er Anrecht auf Kompensationszahlungen habe. Und dieser Gedanke ist gar nicht so abwegig: Warum belohnen wir nicht die, die umweltverträglich leben? Ich habe das einmal für meine Familie ausgerechnet: Wir haben rund ein Drittel des CO2-Ausstosses einer Schweizer Durchschnittsfamilie. Dabei leisten wir uns allen Luxus, den wir wollen, fahren in die Ferien und gehen unseren Hobbys nach. Wir achten einfach auf regionale und nachhaltige Einkäufe, kochen frisch, verwerten Reste und kaufen nachhaltige, lang haltbare Mode und Elektronik. Dazu haben wir das GA statt ein eigenes Auto, und bei Bedarf nutzen wir Mobility. Im Moment werden solche Personen aber eher bestraft. Alleine das Lösen der Billette für unsere letzten Ferien in Italien hat uns ohne Übertreibung einen ganzen Arbeitstag beschäftigt, am Schluss hatten wir ein ganzes Mäppli mit ausgedruckten Papieren. Das kann doch nicht sein! Hier müsste man ansetzen, Hürden abbauen und die belohnen, die sich umweltverträglich verhalten. Auch muss Energie sparen und nachhaltig leben einfacher und komfortabler sein, als Energie zu verbrauchen – doch mit Sparen verdient niemand etwas. Zurück zur Frage: Die Energiewende rechnet sich unterdessen selbst, die erneuerbaren Energien sind inzwischen preiswerter als sämtliche anderen Arten der Energieerzeugung. Es braucht eigentlich keine Förderungen und Subventionen mehr. Kostenwahrheit wäre besser. Insofern kann das Geld unserer Ansicht nach dort bleiben, wo es auch verdient wurde: bei den Steuerzahlenden.

Es ist absehbar, dass bis 2025 längst nicht die angestrebten 2 GW alpine Solaranlagen am Netz sein werden. Wie müssten die gesetzlichen Anschlusslösungen Ihrer Meinung nach aussehen?

Die Frage ist, ob es überhaupt Anschlusslösungen braucht: Denn wie schon oben ausgeführt, sind die 2 TWh durch andere Massnahmen schneller eingespart als zugebaut. Und weiterhin: Falls bis 2025 die 2 TWh noch nicht zugebaut sein sollten, müsste man sich fragen, warum – denn dann hat man die Komplexität vielleicht doch falsch eingeschätzt. Die SSES plädiert deshalb für den Bau kleinerer Pilotanlagen auf schon erschlossenen Freiflächen, um Erfahrungen zu sammeln: Wie ist die gegenseitige Verschattung grosser Anlagen in den Wintermonaten? Wie ist die Langlebigkeit der Module unter der erhöhten UV-Strahlung in den Alpen? Wie müssen die Verankerungen aussehen? Und vor allem: Welche Lösungen gibt es, diese wieder rückstandsfrei nach Ende der Nutzungsdauer zu entfernen? Und weitere Fragen mehr. In der Zwischenzeit müssen wir den Ausbau im schon erschlossenen Gebiet ­vorantreiben – ein Zwischenziel könnten 2 TWh pro Jahr in schon erschlossenem Siedlungsgebiet sein. Ein Ziel, das sowohl die SSES als auch ihre Fachgruppe VESE seit Jahren fordert. Diese 2 TWh wären eine Verdoppelung des jetzigen Ausbaus. Damit dies passieren kann, müssen alle zusammenarbeiten: Solarteure, Privatpersonen, Unternehmen, Verteilnetzbetreiber, Politik und Verwaltung. Die SSES setzt hier an verschiedenen Punkten an, so haben wir das Projekt ‹SolEctif› gestartet mit dem Ziel, Solargenossenschaften untereinander zu vernetzen und Starthilfe für neue Genossenschaften zu geben. Weiterhin sind wir im Gespräch mit Verteilnetzbetreibern, um beispielsweise den Netzausbau mit dem Solarausbau zu koordinieren und damit effektiver und preiswerter für alle zu machen.

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