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Alpine Solaranlagen

So soll die Anlage auf der Alp Morgeten im Simmental dereinst aussehen. Dieses Projekt hat bisher als einziges eine erstinstanzliche Bewilligung erreicht. Acht weitere wurden bisher öffentlich aufgelegt.

DER «SOLAREXPRESS» VERSPÄTET SICH

Text: Beat Kohler

Bisher sind erst neun alpine Solaranlagen im Rahmen des «Solarexpress» öffentlich aufgelegt. Gemeinsam erreichen diese im Endausbau nicht einmal einen Zehntel der mit diesem Gesetz angestrebten Stromproduktion. Nun überlegt sich der Bundesrat, ob auch alpine Anlagen in den Genuss der Fördermittel kommen sollen, die noch nicht wie bisher gefordert 10% der geplanten Anlagen bis Ende 2025 am Netz haben. Erste an der Urne gescheiterte Projekte versu- chen sich zudem an einer Neuauflage.

Vor zwei Jahren war die Angst vor einer sogenannten Winterstromlücke gross. Der Präsident der Eidgenössischen Elektrizitätskommission hielt damals das stundenweise Abschalten des Stroms im Winter in der Schweiz für nicht ausgeschlossen. Er riet sogar dazu, sich mit Kerzen und Brennholz einzudecken. Im Parlament befasste man sich ebenfalls mit Hochdruck mit der Thematik eines Versorgungsengpasses im Winter. Daraus entstanden ist unter anderem der sogenannte «Solarexpress», den das Parlament im September 2022 verabschiedet hat. Mit diesem Gesetz fördert der Bund bis Ende 2025 den Bau alpiner Photovoltaikanlagen, um damit die inländische Winterstromproduktion zu steigern. Damit Anlagen in den Genuss dieser Förderung kommen, müssen sie in den nächsten eineinhalb Jahren 10% ihrer Leistung ans Netz bringen. Bis jetzt ist erst ein Projekt erstinstanzlich bewilligt, und gebaut ist noch gar nichts.

ERST EINE BEWILLIGUNG LIEGT VOR

Entgegen der stereotypen Vorstellung der langsamen Berner war ein Projekt aus dem Kanton Bern am schnellsten. In einer Mitteilung erklärten die Behörden, dass die Regierungsstatthalterin von Frutigen-Niedersimmental mit Gesamtbauentscheid vom 3. Mai 2024 die alpine Photovoltaik-Grossanlage auf der Alp Morgeten in Oberwil im Simmental bewilligt. Den vier gegen das Baugesuch eingereichten Einsprachen der Umweltschutzverbände sei nach gründlicher Prüfung und dem Erhalt der kantonalen Fach- und Amtsberichte sowie nach dem Eingang der Unweltverträglichkeitsprüfung keine weitere Folge geleistet worden. Bei Redaktionsschluss war noch unklar, ob die Einsprachen weitergezogen werden. So könnte das Projekt, das die Morgetenberggenossenschaft, die Thuner Solar AG und die Energie Thun AG in der Morgeten Solar AG gemeinsam vorangetrieben haben, das erste sein, bei dem gebaut werden kann. Die Anlage soll mit einer erwarteten Jahresproduktion von 12 GWh zukünftig erneuerbare Energie für rund 3000 Haushalte liefern. «Die drohenden Beschwerden wären sehr bedauerlich, insbesondere weil das Projekt einer umfassenden Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen wurde», erklärt die Morgeten Solar AG.

SCHLAGABTAUSCH MIT LANDSCHAFTSSCHÜTZERN

Als einer der grössten Gegner alpiner Solaranlagen positionierte sich Raimund Rodewald, der noch bis Anfang November 2024 Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz ist. Im Tagesanzeiger monierte er, alpine Landschaften gerieten nun in den Fokus von Investoren, «die sich von jeglicher Scham befreit haben». Die Landschaft werde zur grossen Verliererin. «Der Solarexpress soll urban auf Dächern und Fassaden, über Carports und Autobahnen stattfinden, nicht aber auf abgelegenen Alpwiesen», erklärt Rodewald. Wenn die UNESCO die Alpsaison als immaterielles Kulturerbe der Menschheit gewürdigt habe, meine sie damit sicher nicht die Alpbeweidung inmitten eines Stangenwalds von PV-Modul-Tischen. In einem öffentlichen Schlagabtausch in den Tamedia-Zeitungen wehrte sich Christian Haueter, Initiant der alpinen Solaranlage auf der Alp Morgeten. Er ist Landwirt und Bergvogt der Alpkorporation Morgeten. Der Grund für die Planung der Anlage sei nicht Geldgier, wie Rodewald behaupte, sondern der ganz konkrete Kampf gegen den Klimawandel, der beim bestehenden Kleinwasserkraftwerk auf der Alp wegen Wassermangel für Stromausfälle sorge.

«Sicher ist, dass der Klimawandel und die Gletscherschmelze die alpine Landschaft nachhaltiger zerstören werden als unsere alpine Solaranlage. Den Alpenraum einerseits als ästhetisches Freizeitkonsumgut der urbanen Bevölkerung zu nutzen und andererseits die traditionelle Alpwirtschaft und die Bewahrer der Biodiversität zu Reservatsbewohnern des immateriellen UNESCO-Weltkulturerbes ‹Alpwirtschaft› zu degradieren – das geht nicht!», erklärte Haueter in seiner Replik.

UNTERSCHIEDLICHE GRÜNDE FÜHREN ZUM SCHEITERN

Verschiedene Projekte sind am Widerstand aus der Bevölkerung gescheitert, insbesondere wenn die Investoren aus dem Unterland kamen, wie hier beim Projekt am Hasliberg.

Entgegen dem Beispiel in Oberwil sind verschiedene Projekte schon vor der Baueingabe am Widerstand der Grundeigentümer oder der Bevölkerung gescheitert. Auch hier spielten in vielen Fällen die von Raimund Rodewald angeführten Überlegungen eine Rolle. Die eigene Landschaft soll nicht unter dem Solarausbau leiden, selbst wenn sie bereits mit Bergbahnen, Strassen oder Strommasten stark vorbelastet ist. Auch die Herkunft der Investoren spielt eine Rolle. Die Gemeinde Surses hat an der Gemeindeversammlung vom 29. Januar 2024 den Bau der alpinen Solargrossanlage Nandro-Solar abgelehnt. In der Debatte spielte eine wesentliche Rolle, dass der Investor das EWZ aus Zürich ist. Trotz dem Einverständnis der Landeigentümerin, der Bäuertgemeinde Hasliberg, hat die Hasliberger Stimmbevölkerung an der Gemeindeversammlung am 31. Januar 2024 dem Bau einer Solaranlage beim Skigebiet Meiringen-Hasliberg die Zustimmung verweigert. Unter anderem mit dem Hinweis, dass man keine Investoren aus der Stadt Basel am Berg will. Wichtig für die Akzeptanz in der Bevölkerung scheint zu sein, dass ein lokales EW zur Trägerschaft gehört. So hat die Gemeindeversammlung Adelboden einer alpinen Solaranlage im Gebiet Schwandfäl zugestimmt. Die zehn Hektar grosse Anlage soll um die 40% des Winterstroms für die Gemeinde liefern. Federführend im Projekt ist neben der BKW als externer Investorin vor allem die Licht- und Wasserwerk Adelboden AG. Ein Baugesuch ist aber bei diesem Projekt noch nicht eingereicht worden. Wie Haueter in Oberwil im Simmental haben offensichtlich auch andere Projektträger die lokale Bevölkerung und die Grundeigentümer überzeugt, sowohl bei Projekten im Wallis als insbesondere auch im Kanton Graubünden. Die Davoser Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben sich beispielsweise mit 75,5% Ja-Stimmen für den Bau einer hochalpinen Solaranlage im Parsenn-Gebiet ausgesprochen. Und auch das Projekt Gondosolar hat ein weiteres Etappenziel im kantonalen Bewilligungsprozess für den Bau der alpinen Photovoltaikanlage oberhalb von Gondo erreicht: Als erstes Projekt im Kanton Wallis haben die Projektträger am 20. Dezember 2023 das Dossier mit dem Baugesuch eingereicht. Im Idealfall sei mit einer Baubewilligung bis Ende Juni 2024 zu rechnen.

ZIELE WERDEN VERFEHLT

Der Solarexpress rollt also immer noch, wenn auch deutlich langsamer, als sich das seine Macher vorgestellt haben dürften. Von den Dutzenden Projekten, die direkt nach dem Parlamentsbeschluss aus dem Boden geschossen sind, listet das Bundesamt für Energie (BFE) aktuell neun auf, die bereits öffentlich aufgelegt sind. Diese erreichen im Endausbau mit einer Jahresproduktion von 182 GWh zusammen nicht einmal einen Zehntel der vom

Parlament einst angestrebten Jahresproduktion von 2 TWh. Spannend ist zudem, dass das BFE keine gescheiterten Projekte auflistet, wie sie in den Medien im letzten halben Jahr breit beleuchtet wurden. Gemäss dem BFE basieren die Angaben auf den Meldungen durch die Kantone, die natürlich keine Projekte weiterleiten, die lokal schon an der Urne gescheitert sind. Ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, kann man jetzt schon festhalten, dass bis Ende 2025 höchstens eine Hand voll Projekte, den für die Förderung durch den Solarexpress notwendigen Anteil von 10% des Endausbaus erreichen werden.

ES GIBT ZWEITE VERSUCHE

Bleibt die Frage, wie es weitergeht. Die angekündigte Strommangellage ist nicht eingetroffen. In den letzten zwei Jahren war der Ausbau der Photovoltaik auf den Gebäuden massiv, womit auch der Winteranteil dieser Anlagen gestiegen ist. Vor allem aber wegen der warmen Witterung und der Anstrengungen im umliegenden Ausland konnte diesen Winter sogar Strom exportiert werden. Politische Vorstösse für eine Neuauflage oder Verlängerung des Solarexpress dürften es entsprechend schwer haben. Einzelne Projekte versuchen den Neustart, nachdem sie lokal an der Urne gescheitert sind. Zum Beispiel das Projekt SolSarine in Saanen. In Form einer Gemeindeinitiative soll das Projekt, das am 8. Dezember 2023 an der Gemeindeversammlung deutlich abgelehnt wurde, etwas redimensioniert wieder aufs Tapet kommen. Neu sollen die Anlagen ausschliesslich auf privatem Boden stehen. Hinter der Initiative steht alt SVP- Nationalrat Erich von Siebenthal. Er wird sich vor Ort vor allem gegen Parteikollegen durchsetzen müssen, soll die Initiative eine Chance haben. Gegenüber dem «Berner Oberländer» äusserte SVP-Gemeinderat Martin Hefti starke Zweifel an der Initiative: «Für mich steht der Volkswille zuoberst. Und das erste Projekt erfuhr ja eine sehr deutliche Ablehnung.» Doch ein Komitee mit lokalen Vertretern der kantonalen und nationalen Politik will SolSarine doch noch zum Durchbruch verhelfen. Die Anlage «SolSarine 2.0» soll im Endausbau eine Gesamtfläche von rund 35 Hektaren erreichen, die jährlich rund 50 GWh Solarstrom produziert. «Es handelt sich um einen Kompromiss, von dem die Schweiz lebt. Wir brauchen im Saanenland eine Quelle, die Winterstrom liefert», sagte Erich von Siebenthal gegenüber dem «Berner Oberländer». Ein wichtiger Treiber in diesem Projekt bleiben wie schon beim ersten Anlauf die Bergbahnen Destination Gstaad, die den Strom direkt vor Ort verbrauchen möchten, um damit auch Geld zu sparen. Allerdings will das Unternehmen das Projekt nicht selbst entwickeln, weil die finanziellen Mittel fehlen. So wollen die Initianten die Mittel durch eine Bürgerbeteiligung und eine Bankenfinanzierung aufbringen. Ob diese lokale Verankerung der Projekts nun mehr Erfolg bringt, muss sich rasch zeigen, wenn vor Ende 2025 gebaut werden soll.

BUNDESRAT ÄNDERT MÖGLICHERWEISE VERORDNUNG

 

Das BFE listet bisher neun Projekte auf, die öffentlich aufgelegt wurden.

Aufgrund der vielen abgelehnten oder auf Eis gelegten Projekte ist auch die Politik wieder aktiv geworden. Namentlich die SP-Nationalrätin und Swissolar-Vizepräsidentin Gabriela Suter. In einer Interpellation wollte sie vom Bundesrat wissen, ob er eine Möglichkeit sehe, die auf Ende 2025 angesetzte Frist auf dem Verordnungsweg zu verlängern. «Es zeigt sich, dass diese Frist sehr knapp bemessen ist», begründete Suter ihre Anfrage. Am 22. Mai schrieb das BFE, dass es Kenntnis von knapp 40 Projekten habe, die sich in der Planung befänden. Neben den 9 öffentlich aufgelegten Projekten liege bei 16 weiteren die Zustimmung der Standortgemeinden vor. «Mit einer Baueingabe ist in den nächsten Monaten zu rechnen», so das BFE, das sich allerdings nicht zu den Realisierungschancen der einzelnen Projekte äussern will. Dem Bundesrat seien auch die Gründe nicht abschliessend bekannt, weshalb Projekte bisher gescheitert sind: «Sie können mit den Eigenschaften des Standorts zusammenhängen (Naturgefahren, mangelnde Einstrahlung, ungeeignete Bodenbeschaffenheit, fehlende Netzanschlusskapazität) oder mit der fehlenden Zustimmung der Grundeigentümerschaft respektive der Standortgemeinde. Nach dem Kenntnisstand des BFE wurden bisher zehn Projekte von den Standortgemeinden abgelehnt», heisst es in der Antwort auf Suters Anfrage. Ganz klar ist für das BFE aber, dass eine Fristverlängerung auf dem Verordnungsweg nicht infrage kommt. Eine Verlängerung der Frist müsste auf gesetzlicher Ebene beschlossen werden. Gegen diese Verlängerung hat sich aber der Nationalrat in der Wintersession 2023 im Rahmen der Beratungen zum sogenannten «Beschleunigungserlass» ausgesprochen. Ein Schlupfloch lässt der Bundesrat aber offen, nämlich wenn es um eine Fortsetzung möglichst vorteilhafter Förderbedingungen für alpine Photovoltaikanlagen geht. Allenfalls könnte eine Verordnungsänderung dazu führen, dass Anlagen von der Förderung profitieren, auch wenn nicht bis Ende 2025 10% am Netz sind, «sofern ein Gesuch bis Ende 2025 öffentlich aufgelegt worden ist». Zudem verweist der Bundesrat auch darauf, dass beim Inkrafttreten des Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, das am 9. Juni angenommen wurde, Photovoltaikanlagen ab einer gewissen Grösse auch in Zukunft erleichterte Planungsbedingungen geniessen werden. Voraussetzung dafür sei, dass sie in einem von den Kantonen im Richtplan festgelegten geeigneten Gebiet erstellt werden. Die Fördervoraussetzungen für solche Anlagen würden zu gegebener Zeit in der Energieförderungsverordnung präzisiert. Die Diskussionen um alpine Solaranlagen dürften also weitergehen, auch wenn aus dem Express ein Regionalzug geworden ist.