Eine erste Tagung zur Agri-Photovoltaik auf nationaler Ebene an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) beleuchtete ausführlich die verschiedenen Möglichkeiten, Energieerzeugungssysteme und Nahrungsmittelproduktion auf ein und derselben Fläche anzusiedeln. Dabei zeigte sich: Das Potenzial ist erheblich.
Text: Pressedienst ZHAW / Redaktion
Der sich abzeichnende Mangel an Strom und Gas ist derzeit wohl eines der am häufigsten diskutierten Themen. Gleichzeitig bahnt sich eine Nahrungsmittelknappheit an, dies aufgrund der steigenden Produktionskosten und des Zusammenbruchs globaler Lieferketten. Wie passen also Energiesicherheit und Nahrungsmittelproduktion zusammen, ohne sich gegenseitig zu konkurrenzieren? Die Frage Tank oder Teller ist global betrachtet äusserst real: Es wird gleich viel Fläche für die Produktion von Biotreibstoffen genutzt wie Ackerfläche zur Produktion von Pflanzen für die direkte menschliche Ernährung. Die Agri-Photovoltaik oder kurz Agri-PV folgt demgegenüber der Idee, landwirtschaftliche Nutzung und Photovoltaikinfrastruktur gemeinsam zu betreiben, um bestenfalls Ernteerträge zu steigern, den Wasserverbrauch zu verringern und daneben effizient erneuerbare Energie zu produzieren.
Mehr Spielraum
Was bislang undenkbar schien, ist mit der Annahme der Revision der Raumplanungsverordnung in greifbare Nähe gerückt: der Bau von PV-Anlagen auf Landwirtschaftsland. Diese können neu als «standortgebunden» gelten, wenn sich Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion ergeben. Wie Christoph de Quervain, Bundesamt für Raumentwicklung, erklärte, will man Bedingungen schaffen, um den Zubau auch für grössere Anlagen zu ermöglichen, da, wo es Sinn ergibt, und in wenig empfindlichen Gebieten. Diese sind nicht klar definiert – das kann angrenzend an die Bauzone sein, aber auch entlang von Autobahnen. Vorbehalten bleiben auf jeden Fall eine Planungspflicht sowie eine ausführliche Interessenabwägung. Johnny Fleury, stellvertretender Fachbereichsleiter im Bundesamt für Landwirtschaft, erklärte, dass das BLW bei der Umsetzung von Agri-PV-Projekten auf Fruchtfolgeflächen besonders streng sein werde. Fruchtfolgeflächen seien die wertvollsten Ackerflächen und für die Eigenversorgung bei der menschlichen Ernährung unverzichtbar. Kritisch sieht er auch mögliche Auswirkungen auf den Bodenmarkt, mit einer Abnahme der Flächenmobilität sowie steigenden Pachtzinsen und Flächenpreisen. Gemäss BLW müssen die Bewilligungsbehörden in den Kantonen genau prüfen, ob das Bauvorhaben wirklich Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion bewirkt.
Potenzial in der Schweiz
Anlass der Tagung war die Vorstellung von einigen Ergebnissen der ZHAW-Machbarkeitsstudie zur Agri-Photovoltaik in der Schweiz. Mareike Jäger, Projektleiterin der Studie und Tagungsleiterin, zeigte das enorme räumliche und energietechnische Potenzial der Agri-PV in der Schweiz auf. Theoretisch könnte dreimal so viel Strom erzeugt werden wie verbraucht wird – sofern man alle Flächen in der Landwirtschaftszone einbezöge, die von der Solareinstrahlung her geeignet wären, sowie unter Berücksichtigung des Energieerzeugungspotenzials dreier gängiger Agri-PV-Systeme für Ackerbau, Dauergrünland und Spezialkulturen. In der Realität ergibt sich eine Reduktion des Flächenpotenzials durch Restriktionen. So ist aus raumplanerischer Sicht Agri-PV nur in «wenig empfindlichen Gebieten» vorstellbar. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Realisierung von Vorhaben in Gebieten, die zum Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung gehören, weniger realistisch sind. Auch die Installation von PV-Modulen auf Biodiversitätsförderflächen ist derzeit nicht gestattet. Berücksichtigt man diese und weitere Restriktionen, so verringert sich die Potenzialfläche um 25 %. Agri-PV-Projekte werden nur realisiert, wo Flächen wirtschaftlich erschlossen werden können. Ein dritter Schritt bei der Untersuchung des räumlichen Potenzials widmet sich deshalb der Frage, wie gross die Wahrscheinlichkeit für die Umsetzung von Agri-PV-Projekten unter Berücksichtigung der Entfernung zum Stromnetz ist. Diese dritte Betrachtungsebene erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Projekt Nexus-e der ETH Zürich. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass das Umsetzungspotenzial schnell abnimmt, wenn die Netzerschliessung berücksichtigt wird. Bei den Ackerflächen beträgt es nach vorläufiger Schätzung noch 40 %, wenn das Netz in unmittelbarer Umgebung sein muss. Das Potenzial auf diejenigen Produktionssysteme zu beschränken, wo das PV-System am wenigsten stört (z. B. Obstanlagen, die bereits gedeckt sind), wäre jedoch zu kurz gedacht und als Stromquelle auch wenig bedeutsam. Chancen bieten integrierende Agri-PV-Ansätze, wo zum Beispiel Habitate zur Biodiversitätsförderung mitkonzipiert werden oder sich innovative Möglichkeiten zum gezielten Wassermanagement ergeben.
www.zhaw.ch/iunr/agro-photovoltaik
https://esc.ethz.ch/research/research-projects/nexus-e.html