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Versorgungssicherheit: Energie verpufft in AKW-Diskussionen

Obwohl die Stimmbevölkerung eben erst deutlich gemacht hat, dass die Versorgungssicherheit mit einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien garantiert werden soll, diskutiert die Politik wieder über neue Atomkraftwerke, die kurz- und mittelfristig unbestritten keinen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten können. Das führt zu einer Verunsicherung und zu einer Ab­kühlung des Ausbaus der Photovoltaik. Derweil kommen aus der Solar­branche neue Ideen, wie der Ausbau der Solarenergie abseits der Politik rasch vorangetrieben werden kann.

Text: Beat Kohler

Viele reiben sich die Augen: Was passiert da gerade in der Schweizer Energiepolitik? Am 9. Juni 2024 hat das Volk das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien mit 68,7% Ja-Stimmen angenommen. Die Vorlage hat versprochen, die Schweiz rasch mit mehr Strom aus Wasser, Sonne, Wind oder Biomasse zu versorgen, um die Abhängigkeit von Energieimporten wie auch das Risiko von kritischen Versorgungslagen zu verringern. Nicht einmal drei Monate später sprechen plötzlich viele von neuen Atomkraftwerken in der Schweiz. Dies nachdem Energieminister Albert Rösti in Aussicht gestellt hat, dass die Landesregierung der sogenannten Blackout-Initiative einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberstellen will. Vor den Medien schürte er Zweifel am vom Volk eben erst mit grosser Mehrheit abgesegneten Weg Richtung Energiewende. Es sei offen, ob der Ausbau der erneuerbaren Energien rasch genug erfolgen werde, um die wegfallenden Kapazitäten und den steigenden Strombedarf rechtzeitig decken zu können. «Der Bundesrat will sich die Möglichkeit offenhalten, das heute verfügbare Mass an klimaschonendem, inländischem, ganzjährig und rund um die Uhr verfügbarem Strom zu sichern», so Rösti. Wobei der Bundesrat in dieser Lesart vor allem Atomkraftwerke sowohl als inländisch als auch als klimaschonend betrachtet. Viel mehr Zeit lässt sich das Departement von Bundesrat Rösti bei den Verordnungen zum angepassten Stromgesetz. Im Magazin «energeiaplus.com» des BFE begründet Florian Kämpfer, Fachspezialist Marktregulierung beim BFE, dies mit den vielen Eingaben: «Wir haben knapp 7000 Seiten Text aus über 300 Stellungnahmen erhalten und ausgewertet. Aufgrund der vielen Anträge, Hinweise und aufgeworfenen Fragen überarbeiten wir nun die Verordnungen.» An der Vernehmlassung haben sich auch die SSES und ihr Fachverband VESE beteiligt und unter anderem darauf hingewiesen, dass der Bundesrat damit die Energiewende bremst, weil bei der Photovoltaik der Fokus einmal mehr auf Eigenverbrauch gelegt wird. Offensichtlich war die Unzufriedenheit auch bei anderen Beteiligten gross. Mit der damit einhergehenden Überarbeitung begründet das BFE nun, dass die Änderungen zu den lokalen Elektrizitätsgemeinschaften, zum Messwesen oder auch zur Rückerstattung der Netznutzungsentgelte erst per 1. Januar 2026 in Kraft treten sollen. «Um eine Kohärenz zwischen den neuen Regelungen zur Grundversorgung sowie zur Abnahme- und Vergütungspflicht zu schaffen, scheint es sinnvoll, wenn letztere ebenfalls erst per 1. Januar 2026 in Kraft tritt», so Kämpfer. Über den genauen Fahrplan zur Einführung der verschiedenen Verordnungsteile will der Bundesrat erst im November entscheiden. Wozu diese Unsicherheit bezüglich der künftigen Vergütungen führt, sieht man bei der Marktentwicklung bei den Solaranlagen deutlich: Die Nachfrage flacht ab. Verschiedentlich ist schon von einer ähnlichen Unsicherheit in der Branche wie nach der Aufhebung der KEV die Rede. Damit wäre also das genaue Gegenteil von dem passiert, was das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien erreichen wollte: Der Ausbau beginnt zu stocken, obwohl die Schweiz das Ausbautempo der letzten zwei Jahre halten müsste, um die gesetzten Ziele zu erreichen.

Uneinigkeit in der Wirtschaft

Statt das Augenmerk auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zu legen, verwendet die Politik nun viel Energie auf die erneute AKW-Diskussion. Dies obwohl verschiedene grosse Stromversorger klargemacht haben, dass für sie ein AKW-Neubau schon allein aus wirtschaftlichen Gründen nicht infrage kommt. Das führt innerhalb der Wirtschaftskreise zu Verwerfungen. Als der Bundesrat über eine mögliche Aufhebung des Neubauverbots für Atomkraftwerke sprach, gratulierte der Wirtschaftsdachverband economiesuisse als einer der Ersten zu diesem Entscheid. Deshalb kündigte das Stromunternehmen Alpiq gegenüber der «Neuen Zürcher Zeitung» an, per Ende Jahr aus economiesuisse auszutreten. «Wir möchten uns in Zukunft stärker auf die Zusammenarbeit innerhalb der Fachverbände konzentrieren», sagte die Sprecherin Aline Elzingre-Pittet der NZZ. Sie betonte, dass Alpiq Mitglied und im Vorstand der aeesuisse sei, des Dachverbands der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Dieser Verband hat bereits ein Positionspapier zum indirekten Gegenentwurf zur Blackout-Initiative veröffentlicht. Die Diskussion zur Energieversorgung der Schweiz, ausgelöst durch die Blackout-Initiative und den indirekten Gegenvorschlag des ­Bundesrates, stifte in der Energiebranche unnötig Verunsicherung und führe zu nichts. Die aeesuisse betont, dass die erneuerbaren Energien schon heute bei stark steigender Tendenz einen zentralen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. «2022 stammte der Strom aus den Schweizer Steckdosen zu rund 80% aus erneuerbaren Energien. In zehn Jahren dürfte der Anteil um weitere 10% steigen», schreibt die aeesuisse. Die einzigen Kraftwerke, die kurz- und mittelfristig rasch und tatsächlich zugebaut werden könnten, seien erneuerbare Energieanlagen. «Allein im Jahr 2024 werden erneuerbare Anlagen zusätzlich 2 TWh Strom liefern», so die aeesuisse. Die Schweiz brauche in erster Linie zusätzliche flexible Kraftwerkskapazitäten wie zum Beispiel Wasserkraftwerke, eine Speicherstrategie, einen intelligenten Netzausbau und ein Marktdesign, das erneuerbare Energien optimal in den Energiemarkt integriert: «Das sind die echten energiepolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, die die Politik jetzt angehen muss.»

Parlament hält dem Atomausstieg noch die Stange

Einen Appell an Bundesrat und Parlament, jetzt nicht wieder Zeit mit der Diskussion um AKW-Neubau-Pläne  zu vergeuden, richteten auch 25 000 Menschen aus der Zivilgesellschaft. Sie unterzeichneten das Papier der Schweizerischen Energie-Stiftung SES «Sabotage der Energiewende stoppen». «Mit seiner Absicht für neue AKW sabotiert der Bundesrat die Energiewende. Wir können den Franken nur einmal ausgeben. Was wir jetzt brauchen, ist die volle Konzentration auf den schnellen Ausbau der Erneuerbaren», erklärte Nils Epprecht, Geschäftsleiter der Energie-Stiftung, bei der Übergabe der Unterschriften an die Bundeskanzlei. Der vom Bundesrat beabsichtigte Gegenvorschlag, mit dem das AKW-Neubauverbot aus dem Gesetz gestrichen werden soll, stehe im scharfen Kontrast zu verschiedenen Volksentscheiden. Im Parlament scheint die Mehrheit in der Herbstsession diesen Aufruf gehört zu haben. Der Nationalrat debattierte über die Motion des Aargauer SVP-Nationalrats Thomas Burgherr «Stromversorgung langfristig sichern». Diese wollte im Kernenergiegesetz (KEG) eine Ausnahme verankern, die den Ersatz der 2022 im Einsatz stehenden Atomkraftwerke ermöglicht hätte. Mit 99 zu 85 Stimmen lehnte der Nationalrat diese Motion ab. Die SES sah in diesem Geschäft ­einen Probelauf für den indirekten Gegenvorschlag zur Atominitiative. «Mit der Ablehnung der Motion hat der Nationalrat Rückgrat bewiesen und gezeigt, dass er den Willen der Bevölkerung für eine saubere Energieversorgung ohne Atomstrom respektiert», hielt Epprecht fest. Die Aufhebung des AKW-Neubauverbots würde aus Sicht der SES den raschen und konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien infrage stellen, den das Stimmvolk mit der Energiestrategie 2050 und dem neuen Stromversorgungsgesetz eingeschlagen hat. Oder wie Epprecht es formuliert: «Wir können den Franken nur einmal ausgeben: entweder für Erneuerbare, die sicher und zeitnah bereitstehen, oder für neue AKW, die frühestens in 20 bis 30 Jahren Strom liefern.»

Lösungen kommen nicht aus der Politik

Wie der Weg Richtung erneuerbare Versorgunssicherheit aussehen sollte, das haben Ende August Referentinnen und Referenten gemeinsam mit rund 400 Gästen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung am aeesuisse-Kongress 2024 diskutiert. Dabei standen Themen wie Marktdesign, Netzdesign, Speichertechnologien, Bewilligungsverfahren und generell die Akzeptanz der Energiewende im Fokus – genauso wie die Beziehung zu Europa und das für unsere Versorgungssicherheit wichtige Stromabkommen. Diejenigen, die bereits heute an den Lösungen der Zukunft arbeiten, erhielten die Möglichkeit, sich vorzustellen. Die Gäste des Kongresses wählten am Schluss aus, welcher Ansatz ihnen am besten gefallen hatte. Vorgestellt wurde unter anderem ein Anergienetz in Brig-Gils, das Energie für 2200 Haushalte liefert, das Wohn- und Gewerbegebäude der elektroplan Buchs & Grossen AG, das Solarstromproduktion, Batteriespeicher und Verbrauch bestens aufeinander abstimmt, oder auch Primeo Energie mit ihrem Wahltarif für Strom aus Photovoltaikanlagen, der eine zeitvariable Vergütung nach Sommer, Winter sowie Hoch- und Niedertarif beinhaltet. Am meisten überzeugte beim Publikum aber die Helion Energy AG. Sie hat das System des Power Purchase Agreement (PPA) neu gedacht. Dabei geht Helion davon aus, dass viele Unternehmen mehr Strom brauchen, als die eigenen Dächer und Fassaden mit PV-Anlagen liefern können. Anstatt Herkunftsnachweise für erneuerbaren Strom im Ausland zu beschaffen, können sie über das Solar-PPA gebündelt Solarstrom aus Schweizer Produktion beziehen. Dafür bezahlen die Unternehmen über fünf oder zehn Jahre einen fixen Tarif für diesen Strom. Damit wird eine der grössten Unwägbarkeiten für alle Beteiligten umgangen: der volatile Strommarkt. «Solar-PPA – ob von Helion oder von anderen Anbietern – werden in der Schweiz zum richtigen Gamechanger», zeigte sich Noah Heynen, CEO Helion Energy AG, überzeugt. Die Unsicherheit bei der Einspeisevergütung sorge aktuell immer noch für teilbelegte Dächer, was eine Katastrophe sei. «Wir poolen nun viele kleine Investoren und KMU und machen daraus ein Mega-Solar-PPA», so Heynen. So hat die Industrie, welche die Energie abnimmt, wie auch die Produzenten Planungssicherheit und eine bessere Versorgungssicherheit – dies alles ohne einen Förderfranken. Die vorgestellten Energiewendeprojekte, die bereits funktionieren, zeigten vor allem eines im aktuellen Umfeld deutlich: Nicht die Politik bringt die Energiewende mit neuen Lösungs­ansätzen voran, sondern die Energiewendemacherinnen und -macher.

ElCom erwartet eine bessere Versorgung

Zuständig für die Stromversorgungssicherheit in der Schweiz ist die Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom. Sie hat in den vergangenen Jahren immer wieder – zum Teil drastisch – vor Versorgungslücken gewarnt. Für den Winter 2024/2025 hat sie bereits im April zumindest zum Teil Entwarnung gegeben. Positiv zur Stromversorgungssicherheit trage die Erwartung einer deutlich höheren Verfügbarkeit der französischen AKW bei. Trotzdem hält die ElCom an der Winterreserve fest. Aufgrund der nun erhöhten Verfügbarkeit der gepoolten Notstromaggregate sowie des Ausbaus der erneuerbaren Energien könne aber die Wasserkraftreserve voraussichtlich reduziert werden. Ende September erklärte die ElCom, dass weiterhin verschiedene Versorgungsrisiken mit Blick auf den kommenden Winter bestehen. Der Füllstand der Schweizer Speicherseen lag bei 84% (100% = 8,91 TWh) und damit tiefer als im vergangenen Jahr in diesem Zeitraum. Für die Stromversorgungssicherheit in Europa und damit auch in der Schweiz spielen Gaskraftwerke und damit die Verfügbarkeit von Gas eine bedeutende Rolle. Die Gasspeicherstände in Nordwest­europa lagen Ende September bei 94% der maximalen Füllung und damit über dem Mittelwert der vergangenen Jahre. Mit Blick auf die mittelfristige Stromversorgungssicherheit bis 2035 hält die ElCom an ihrer Empfehlung fest, bis 2035 eine dauerleistungsfähige Reservekapazität von 700 bis 1400 MW vorzuhalten. Die momentan bestehenden Unsicherheiten bezüglich Geschwindigkeit des Erneuerbaren-Ausbaus, der Nachfrage­entwicklung, der Laufzeit der Kernkraftwerke sowie der Verfügbarkeit von Netzkapazitäten für den Stromaustausch mit den Nachbarländern blieben hoch.

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