Dank Anstrengungen in Europa – insbesondere in Deutschland – ist die Solarenergie konkurrenzfähig geworden. Vor allem in Asien, aber auch in Afrika schreitet der Ausbau massiv voran. Dies insbesondere auch, weil die Solarenergie sich hier nicht gegen bestehende Kraftwerke durchsetzen muss, sondern das zusätzliche stark steigende Wirtschaftswachstum und damit den steigenden Energiebedarf der Bevölkerung deckt. Dies trägt noch nicht zur Dekarbonisierung der Welt bei, sondern hilft nur, das Wachstum des CO2-Ausstosses zu drosseln.
Text: Heini Lüthi-Studer
Noch nie wurde bei einer Kraftwerkstechnologie weltweit so viel Kapazität zugebaut wie heute bei der Photovoltaik: Alleine 2022 kamen 240 GW neu ans Netz, 2023 betrug der Zubau bereits über 400 GW. Bei Gas- oder Kohlekraftwerken wurden weltweit nie über 100 GW pro Jahr zugebaut. 1 GW entspricht der Leistung des Kernkraftwerks Gösgen. An Atomkraft gehen aktuell pro Jahr kaum mehr als 5 GW ans Netz. Im Verhältnis zur global wachsenden Elektrizitätsnachfrage ist der Atomstromanteil seit Jahren rückgängig – während insbesondere Asien mit Photovoltaik und Windkraft die Energieversorgung der Zukunft ausbaut. Mittlerweile liefern Sonne und Wind weltweit mehr Elektrizität als die Atomenergie.
Sonne und Wind stellen Atomkraft in den Schatten
Photovoltaik trägt mittlerweile 6% zur weltweiten Stromproduktion bei – in der Schweiz sind es 8%. In Spanien liegt der Solarstromanteil bei 19%, der Windkraftanteil bei 24%; aktuell wird weltweit mit 7% noch etwas mehr Windstrom produziert als Solarstrom, doch der jährliche Windkraftzubau bleibt unter 100 GW – denn Solarstrom ist mittlerweile günstiger. In Indien liegt der Solarstromanteil inzwischen bei 9%. Noch immer wird über die Hälfte des indischen Stroms mittels Kohle produziert – doch parallel zum Wirtschaftswachstum vervielfacht sich der Stromverbrauch, und die Kohleförderung lässt sich in Indien nicht weiter ausbauen. Statt Kohle aus Australien zu importieren, baut Indien eine Solarindustrie, in der mittlerweile über 200 000 Menschen arbeiten. In China umfasst die PV-Industrie knapp 2,7 Millionen Arbeitsplätze. Aber China produziert nicht nur rund 80% der PV-Module weltweit, es verbaut auch fast die Hälfte aller Solarmodule im eigenen Land.
Klimarettung oder Wachstumstreiber?
Ohne ideologisch-ökologisch motivierte Starthilfe aus Deutschland hätten die Photovoltaikproduktionskosten durch Economy-of-Scale nie von über 5 EUR/W auf unter 0,5 EUR/W fallen können. Die 7 GW Photovoltaik, die um 2011 in Deutschland installiert wurden, entsprachen damals etwa 35% des Weltmarkts – dann bremste die deutsche Politik den Photovoltaikzubau willentlich auf unter 2 GW: In Deutschland verdrängten die erneuerbaren Energien eine etablierte Stromversorgung mit wenigen Dutzend grossen Einspeisepunkten; plötzlich sollten Zehntausende Solaranlagen als «Flatterstrom» verunglimpften Solarstrom einspeisen. Ein funktionierendes System wurde infrage gestellt – viele Stakeholder hatten viel zu verlieren. Anders in China. In den 1990er-Jahren lag der Stromverbrauch des chinesischen Milliardenvolks nicht höher als jener von 80 Millionen Deutschen. Parallel zum Wirtschaftswachstum vervielfachte China die Stromproduktion aus Kohle- und Wasserkraft. Statt Photovoltaik kleinzureden wie gewisse konservative Schweizer Elektrizitätswerke, erkannten chinesische Elektrizitätsgesellschaften das Potenzial der Technologie. Sie bauten die Produktion zügig aus – gewisse investieren selbst in Gigawatt-Photovoltaikfabriken. Daraus ist eine völlig andere Marktdynamik entstanden. Wenn jede chinesische Familie wie eine europäische mit einem Auto unterwegs sein möchte und dieses ein Verbrennungsmotor hätte, müsste sich die globale Erdölförderung etwa verdoppeln – das ist völlig unrealistisch. Mit Elektromobilität und Solarstrom ist dieser Traum wohl auch nicht einfach zu erreichen – aber eine weitere Verhundertfachung des Solarstromzubaus ist nicht unmöglich.
In den letzten 20 Jahren hat sich der PV-Zubau verhundertfacht – und alle Beteiligten können stolz darauf sein, an den heute offensichtlichen Erfolg der Sonnenenergie geglaubt zu haben. Dank Solarenergie sind Atomkraftwerke unnötig, und gegenüber teuren Dieselgeneratoren ist Solarstrom längst konkurrenzfähig. In Europa ersetzt jede kWh Solarstrom teuren Strom aus Gas und damit etwa 200 Gramm CO2 – mit dieser Motivation engagierte ich mich für PV-Anlagen in der Schweiz. Ich hatte dann die Möglichkeit, auf Sri Lanka in PV-Anlagen zu investieren, und wurde mir bewusst: Hier verdrängt der Solarstrom keine fossile Energie. Er vermeidet, dass die wachsende Stromnachfrage durch zusätzliche Kohlekraft gedeckt wird – aber die gigantischen PV-Zubauzahlen in Asien senken die CO2-Emissionen kaum. Es ist für den Klimaschutz unabdingbar, dass wir heute Technologien zur CO2-neutralen Stromproduktion zur Verfügung haben – aber mit dem 400-GW-PV-Zubau retten wir nicht unbedingt das Klima. Vielmehr ermöglicht der Zubau von Solar- und Windkraft in Asien – und wohl bald auch in Afrika – ein Wirtschaftswachstum, das mit begrenzter fossiler Energie nie möglich gewesen wäre.
Bessere Perspektiven für Afrika
Der Stromverbrauch pro Person liegt in der Schweiz bei rund 7800 kWh/Jahr – nur etwa ein Drittel davon wird in privaten Haushalten verbraucht. In Sri Lanka liegt der Stromverbrauch pro Person – inklusive Industrie – bei 525 kWh/Jahr. Immerhin sind 99% der Haushalte ans Stromnetz angeschlossen, und der staatliche Energieversorger bietet einen anständigen Preis für Solarstrom, der ins Netz zurückgespeist wird. Die Wirtschaftskrise von Sri Lanka 2022 war dadurch geprägt, dass die Devisen fehlten, um fossile Energie zu importieren – die Stromversorgung fiel aus, und Treibstoff wurde stark rationiert. Während Südasiaten zehnmal weniger Strom verbrauchen als Europäer, steht einem Westafrikaner im Durchschnitt hundertmal weniger Strom zur Verfügung. In Niger sind weniger als 20% der Haushalte ans Stromnetz angeschlossen, und der Stromverbrauch pro Kopf liegt unter 50 kWh/Jahr. Die Stromversorgung in Westafrika basiert oft auf teurem Diesel. Das Spannende ist: Ein grosser Solarpark alleine kann die nationale Stromversorgung bereits um einige Prozent steigern. Vier Monate nach dem Putsch in Niger geht nahe Niamey ein Photovoltaikfeld mit 30 MW in Betrieb, das nun etwa 5% zur Stromversorgung beiträgt. 1977 erreichte das nationale Stromnetz von Algerien erst 57% der Haushalte, heute sind 99% elektrifiziert. Ein weitläufiger Ausbau vom Stromnetz ist nötig, wenn man auf zentralisierte Kraftwerke mit Kohle- oder Kernkraft setzt. Die Militärregierung von Burkina Faso träumt zwar auch von einem Kernkraftwerk – doch vorerst ist auch ihr klar, dass es mit der Solarstromversorgung zügiger vorwärtsgeht: Mit einem neuen 42-MW-Solarpark baut Burkina Faso den Solarstromanteil auf über 12% aus. Die dezentrale Wirkung der Photovoltaik in Afrika ist jedoch mindestens so beachtenswert: In Kenia haben bald mehr Haushalte ein Solar-Home-System – oft mit weniger als 50 W Leistung – als einen Anschluss ans nationale Stromnetz. (Wobei auch das kenianische Netz zu 90% erneuerbar gespiesen wird: 45% Geothermie, 27% Wasser, 14% Wind, 2,5% Solar, 1,5% Biomasse – nur 10% bleiben Erdöl.)
Ein weitläufiges Stromnetz ist insbesondere in Europa wichtig, um im Winter Windkraft aus dem Norden in den Süden zu bringen und Solarstrom aus dem Süden europaweit zu verteilen. Da in unserem Winter viel Energie benötigt wird, aber die Leistung der Sonne nur begrenzt zur Verfügung steht, ist es hierzulande äusserst schwierig, sich autonom mit Solarstrom zu versorgen. Verlässliche Batterien sind für den Tag-Nacht-Ausgleich entscheidend. Diese sind mittlerweile relativ preiswert erhältlich. Eine saisonale Speicherung bleibt aber weiterhin deutlich herausfordernder. In Südasien und Afrika schwankt die Solarstromproduktion über das ganze Jahr hingegen nur gering. Wieso soll eine Stromleitung über 20 km in ein abgelegenes Dorf gezogen werden, wenn ein Solar-Minigrid für die 50 Haushalte günstiger ist als der Anschluss an ein von Stromausfällen geprägtes nationales Netz? Die African Minigrid Developers Association (africamda.org) schreibt, dass die Zahl der privaten Minigrids 2021 auf 400 gestiegen ist, mit insgesamt 78 271 Anschlüssen – wobei diese Zählung sicher unvollständig ist. Schon wenige Meter Kabel und ein smarter Zähler für einen Minigrid-Anschluss sind jedoch schnell teurer als ein kleines 20-W-Solarsystem, damit ein Haushalt Licht hat und die Handys laden kann. Im Vorort von Ouagadougou, wo wir aktuell 60 Haushalte mit unserer 50-kW-Photovoltaikanlage verkabeln, hatten vorher viele ein kleines Solarmodul auf dem Dach. Auch mit solaren Wasserpumpen reduzieren wir keine CO2-Emissionen – vielmehr steigern wir damit den Lebensstandard: Kühlschränke können installiert werden, Kleingewerbe wird ermöglicht – und mit solarer Bewässerung kann sich der Ernteertrag vervielfachen.
Ausgleich willkommen?
Es ist offensichtlich, dass der Klimawandel speziell in der Sahelzone die Lebensbedingungen erschwert. Doch spannend ist die Frage, inwiefern neue Energie für Afrika diesen Effekt überkompensieren kann. Mit unerschöpflicher erneuerbarer Energie sind Kühlung und das Entsalzen und Pumpen von Wasser gut machbar. Dass es sich im globalen Süden irgendwann besser leben lässt als in Europa, mag eine gar optimistische Sichtweise sein. Aber eine erneuerbare Energieversorgung aus dem Nahezu-Nichts aufzubauen, wird gesellschaftlich als Chance und Aufstieg gesehen, während es viel Überzeugungsarbeit braucht, um das etablierte System in Europa zu dekarbonisieren. Während sich in Europa Zukunftsangst verbreitet, streben Asien und Afrika aufwärts. Der durchschnittliche Stromverbrauch und auch das Einkommen pro Person ist in China (11 890 USD bzw. etwa 4000 kWh pro Person und Jahr) nur noch etwa ein Drittel tiefer als in Osteuropa. Das fossile Wohlstandsmonopol ist gefallen. Moralisch mag es erstrebenswert sein, dass sich die globale Einkommensungleichheit ausnivelliert. Der Ruf «Make America Great Again» ist in diesem Kontext zu verstehen: Für Amerikaner und Europäer hat es etwas Bedrohliches, nicht mehr eine weit höhere Kaufkraft zu besitzen als der Rest der Welt. Nationalkonservativismus will die alten Privilegien verteidigen – ob sich der Wandel aufhalten lässt, ist mehr als fraglich.
Eine ökologisch motivierte Gruppe von Idealisten hat in Europa die Energiewende angestossen – mit weitreichenden weltwirtschaftlichen Konsequenzen. Ob beabsichtigt, gewollt oder nicht – das Wirken der Schweizerische Vereinigung für Sonnenenergie in den letzten 50 Jahren hat den Klimawandel noch nicht gestoppt, aber doch zu einer etwas ausgeglicheneren Welt beigetragen.
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